„Die letzte Fahrt der Demeter“: Warum der neue Dracula nicht gruselt

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Corey Hawkins und Aisling Franciosi in
Foto: 2023 Universal Studios and Amblin Entertainment. All Rights Reserved.

Mit „Die letzte Fahrt der Demeter“ läuft jetzt eine Neuverfilmung von Bram Stokers Klassiker: Warum der neue Dracula nicht gruselt und was sich stattdessen im Kino lohnt.

Die letzte Fahrt der Demeter

Ein Schiff fährt Richtung Untergang. Kurz vor Anbruch des 20. Jahrhunderts reist ein Handelsschiff, die Demeter, von den Karpaten nach England, um eine mysteriöse Fracht abzuladen. Kisten voller Erde soll die Besatzung transportieren. Nur: In einer der Kisten lauert noch etwas anderes, das Mann um Mann nachts holen kommt. „Die letzte Fahrt der Demeter“ basiert auf dem siebten Kapitel von Bram Stokers „Dracula„, einem der schaurigsten im Roman, weil es Leerstellen und Rätsel offen lässt. Anhand des skizzenartigen Logbuchs des Kapitäns der gestrandeten und verwahrlosten Demeter kann man sich nur ansatzweise zusammenreimen, welches Grauen unterwegs auf dem Schiff passiert sein muss.

Regisseur André Øvredal lässt in seiner Adaption nun kaum noch Platz für ähnlich beunruhigende Leerstellen. „Die letzte Fahrt der Demeter“ bläht das kurze Romankapitel auf unnötig lange zwei Stunden auf und bebildert lediglich Naheliegendes. Das Drehbuch von Zak Olkewicz und Bragi Schut kennt keine Geheimnisse mehr, Spannung soll nur aus ohnehin im Voraus bekannten Informationen gezogen werden. Da nützt es auch nichts, dass der Film allerlei Liebe zum Detail in seiner Fertigung und üppigen Ausstaffierung, allerlei Potential in seinem finsteren Szenario erkennen lässt.

Dracula in "Die letzte Fahrt der Demeter"
Dracula sucht die Besatzung der Demeter heim. Foto: 2023 Universal Studios and Amblin Entertainment. All Rights Reserved.

Dieser Film liest Stokers Roman passend als Epochenroman. Er ist in seiner gegenwärtigen Perspektive Produkt einer von Untergangsfantasien geprägten Zeit. Fortwährend fürchtet man sich vor dem anbrechenden Unheil, das bereits unterwegs seine Opfer fordert. Die Demeter trägt Aberglaube und bösartigen Schrecken, eine Naturkatastrophe in die vermeintlich aufgeklärte Welt. André Øvredal schmälert jedoch den Schrecken der aufziehenden neuen Zeit mit allerlei austauschbaren Effekten. Sein blutiges Horror-Kammerspiel verbreitet mehr Krawall als Stimmung. Und wie dieses üppig geschminkte, aber im wahrsten Sinne seelenlose Fangzahn-Monster in einer Reihe mit Ikonen wie Max Schreck, Klaus Kinski oder Gary Oldman bestehen soll, ist eine andere Frage.

Kannawoniwasein!

Dracula auf der Demeter für die Erwachsenen, „Kannawoniwasein!“ als Familienprogramm. Und wieder eine Romanverfilmung! Unter ihrem eigentümlichen Titel verbirgt sich die Adaption von Martin Musers Kinderbuchreihe. Regisseur Stefan Westerwelle hat sie nun in Bilder übersetzt. Sein Familienfilm schickt zwei Kinder in die große, weite Welt, wenngleich zunächst nur unfreiwillig. Dem kleinen Finn wird im Zug nach Berlin der Rucksack geklaut. Als er vor der Polizei flieht, verbündet er sich mit der Ausreißerin Jola, um mit ihr in Richtung Meer aufzubrechen. Was bleibt ihnen sonst auch übrig? Die Erwachsenen keifen und zetern und scheinen allesamt den Verstand verloren zu haben.

Jola und Finn büxen mit dem Traktor aus. Foto: Lieblingsfilm, SadOrigami, Jens Hauspurg

Stefan Westerwelle inszeniert unter anderem Gisa Flake, Mirja Boes, Anna Mateur und Ades Zabel in skurrilen Gastrollen, vor denen die Kinder nur davonlaufen können. „Kannawoniwasein“ findet in der Tat einige anrührende Szenen und das sind solche, die ohne solche schrägen Überzeichnungen stattfinden, die etwa symbolträchtige Hürden in der bedrohlichen Natur drapieren und Hindernisse in den Prozess des Erwachsenwerdens einziehen. Er kommt unterwegs ganz wunderbar ins Grübeln, wenngleich dieser Film vom deutlichen, recht spießig inszenierten Unbehagen der Erwachsenen geprägt ist. Natürlich muss da zum Schluss für das Seelenheil alles wieder in das Heimelige eingehegt, die Kontrolle über die Jugend zurückgewonnen werden.

Past Lives – In einem anderen Leben

Celine Song legt mit „Past Lives“ eines der gefeiertsten Debüts des Jahres hin. Ihr Drama erzählt vom Wiedersehen zweier ehemaliger Kindheitsfreunde: Nora und Hae Sung sind gemeinsam in Korea aufgewachsen, bis Noras Familie nach Kanada gezogen ist. Inzwischen will Nora Karriere in New York machen, hat einen neuen Partner, Arthur kennengelernt. Das Wiedersehen mit ihrem ehemaligen Freund wirft alle Beteiligten aus der gewohnten Bahn.

Szene aus "Past Lives"
Nora und Hae Sung begegnen sich nach vielen Jahren Funkstille. Foto: Studiocanal 2023/ Twenty Years Rights LLC

Celine Song umschifft gekonnt Klischees, wenn es um das Erzählen solcher Dreiecksbeziehungen geht. Mit „Past Lives“ gelingt ihr ein klug bebildertes, hervorragend gespieltes Beziehungsdrama, das seinen Culture Clash zwischen Korea und den USA gekonnt aufsprengt. Ihr Film schwingt sich auf zur bewegenden, komplexen Auseinandersetzung mit Prozessen der Beheimatung. Ein Test, die Brüche in der eigenen Biographie, den Wandel der eigenen Persönlichkeit und all ihrer Beziehungen und Prägungen auszuhalten. Das Kino-Highlight in dieser Woche! Weitere Gedanken dazu findet man in der ausführlichen Filmkritik von DIGITAL FERNSEHEN.

Weitere Kino-Neustarts am 17. August 2023

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  • Kandahar
  • Le Mali 70
  • Youth Topia
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