100 Jahre Universal – 4. Teil

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100 Jahre Universal – 4. Teil

Interview mit Drehbuchautor Carl Gottlieb

Im Gespräch mit Carl Gottlieb, Drehbuchautor des Spielberg-Klassikers „Der weiße Hai“

 
 
„Haie! Hier gibt es echte Haie!“

Seit dem 15. November 2012 ist „Der weisse Hai“ als Teil der „JAHR100FILM-Reihe“. Wir sprachen mit Carl Gottlieb, dem Drehbuchautoren des Spielberg-Klassikers.
 
 
Herr Gottlieb, wie kamen Sie zum Filmprojekt „Der weisse Hai“?
 
Es war damals 1973/1974. Steven (Spielberg, Anm. d. Red.) war noch ein Newcomer in Hollywood und wir hatten den gleichen Agenten, wodurch wir uns kennenlernten. Damals arbeitete ich bei ein paar TV-Filmen als Darsteller. Wir verstanden uns sehr gut und er zeigte mir ein Skript, das er für sein folgendes Projekt „Der weisse Hai“ vorsah. Das brachte mich dazu, die Romanvorlage zu lesen.
 
Etwas später sandte er mir das vollständige Skript zu und fragte mich nach meiner Meinung. Daraufhin schickte ich ihm eine lange Liste voller Anmerkungen zurück. Irgendwann kam er dann auf mich zu und fragte, ob ich nicht in seinem Film mitspielen wollte. Ich hatte schon einige Erfahrungen als Komödiant gesammelt, sodass ich ein bisschen Witz in die Sache einbringen könnte. Ich sagte zu, und schon hatte ich die Rolle des Meadows.
 
 
Und wie wurden Sie zum Drehbuchautor?
 
Steven legte den Produzenten meine Memos vor, die mich daraufhin einluden. Es gab also ein Treffen mit Steven Spielberg, Dic Zanuck, David Brown und mir. Ich erklärte ihnen meinen Standpunkt, als es um die Frage ging, wie ein Autor das Skript verändern würde. Sie reagierten mit einem Angebot: „Wir engagieren Sie, damit Sie die Dialoge ein wenig aufpolieren. Sie können in ein paar Tagen zusammen mit Steven aufbrechen, um zunächst nach Boston und dann zur Insel Martha’s Vineyard zu reisen, wo wir in drei Wochen mit dem Dreh beginnen werden.“ Auch hier sagte ich zu, kündigte meinen Job bei einer TV-Comedy-Show und zog Richtung Boston.
 
 
War das Überarbeiten schwierig?
 
Als wir begannen, wurde uns klar, dass es noch viel zu tun gab. Und wir mussten es schnell machen und durften auch nicht allzu viel verändern. Alles, was noch nicht fix war, konnte noch beeinflußt werden, die Settings und die Drehorte standen hingegen fest. Daher lag mir sehr daran, das Skript schnell zu ändern. Sobald ich mit dem Umschreiben begann, konnte ich nicht mehr aufhören, denn wenn man Dinge verändert, müssen logischerweise auch die darauffolgenden Ereignisse angeglichen werden. Auf diese Weise wurde aus einem einfachen Aufpeppen der Dialoge eine Neufassung, die sich zu einer stärker überarbeiteten Neufassung entwickelte.
 
 
Sind Ihnen während des Drehs irgendwelche Zwischenfälle widerfahren?
 
Natürlich! In der ersten Version des Drehbuchs wurde der vermisste Fischer Ben Gardner bzw. sein Boot von den drei Figuren Hooper, Brody und Meadows gefunden. Während wir mitten im Meer filmten, fiel ich ins Wasser, sodass sie den Dreh stoppen mussten. Zuerst mussten die Sachen trocknen und es war schon sehr spät am Abend, weshalb die Szene zunächst gestorben war. Sie musste neu geschrieben werden. Und ich sage Ihnen, das war kein Spaß, ins Wasser zu fallen. Als ich so ins Wasser ging, dachte ich instinktiv: Haie, hier gibt es echte Haie! (lacht)
 
Als es mir möglich war, die Szene zu überarbeiten, wurde mir und Steven klar, dass es wesentlich effektiver wäre, wenn die Szene bei Nacht und mit nur zwei Darstellern stattfinden würde. Daher machte ich an der Stelle das Schwerste, was ein Drechbuchautor/Darsteller machen könnte – Der Schreiberling in mir tilgte meinen Charakter aus der Szene. Das war sehr schmerzvoll. So etwas sollte man nie machen müssen. Je mehr ich am Drehbuch veränderte, desto kleiner wurde auch der Part von Meadows. Es war einfach wichtig für den Handlungsfluss, sich auf die Hauptakteure zu konzentrieren und dann im dritten Akt auf die Ruhe des Ozeans.
 
 
Was ist das Vermächtnis des Films?
 
Von der Business-Seite her betrachtet war es der erste Sommer-Blockbuster überhaupt, der den Distributionsweg von Filmen für immer änderte. Die ganze Vermarktungsmaschinerie von „Der weisse Hai“ ist extrem wichtig für die Filmgeschichte, weil es davor so war, dass die Filme zunächst nur in größeren Städten uraufgeführt wurden. Erst nachdem sie schon Monate lang in denselben Kinos spielten, gingen die Filme an die Kinos in den kleineren Städten.
 
„Der weisse Hai“ hingegen wurde landesweit vermarktet, sodass der Film vom ersten Tag an in knapp 2 000 Kinos gezeigt wurde. Heute wird diese Strategie weltweit verfolgt und Filme starten zeitgleich auf internationaler Ebene. Das zweite Vermächtnis von „Der weisse Hai“ ist, dass ein Horrorfilm mit einer glaubhaften, nicht sichtbaren Präsenz, echte Angstzustände bei den Zuschauern hervorrufen kann. Das ist ähnlich wie z. B. in „Alien“: Wir sehen die Kreatur die meiste Zeit des Filmes über nicht. Das ist also auch ein Teil des Erbes – eine Art zuverlässige Struktur für Horrorfilme.
 
 
Vielen Dank für das Gespräch!
(Falko Theuner)

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