Hypnotisch schöne Bildgewalt

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Hypnotisch schöne Bildgewalt, Seite 2

Nicolas Winding Refns „Only God Forgives“

Mit „Only God Forgives“ von „Drive“-Regisseur Nicolas Winding Refn erwartet die Zuschauer alles andere als seichte Unterhaltung. Wer sich von dem radikalen Arthouse-Drama angesichts der erneuten Hauptbesetzung durch Ryan Gosling eine Art Neuauflage oder Fortsetzung von „Drive“ erhofft, wird definitiv enttäuscht sein. Kompromisslos gestaltet Refn in der fiebrigen und ausweglosen Untergrundwelt Bangkoks ein durchgestyltes Todesdrama, das von abstoßend brutalen und dennoch poetisch wirkenden Bildern, einer Sprache des Schweigens und beinahe völlig sympathie- und gesichtslosen Figuren lebt.
 
Statt einer klassischen Dramaturgie baut Refn ein faszinierendes Gewaltgemälde nach dem anderen auf, setzt die Prämissen auf das Visuelle und lässt dem Zuschauer genügend Freiraum zur Interpretation. Doch unanbhängig davon, wie viel gezeigt und wieviel nicht gezeigt wird, gerät das Kopfkino zu einer schmerzvollen Erfahrung, die Ihnen die Bilder nachhaltig ins Gehirn brennen wird. Sanfte Gemüter werden mit diesem Film also definitiv ihre Probleme bekommen.

Auge um Auge

„Die ursprüngliche Idee war es, einen Film über einen Mann zu machen, der Gott herausfordert“, erklärt Nicolas Winding Refn seine Intention von „Only God Forgives“. Der „Mann“, der bei dieser Beschreibung nach einem wagemutigen Helden klingt, ist jedoch alles andere als das, was der Zuschauer vielleicht erwarten würde. Julian (Ryan Gosling), so heißt der junge Protagonist, ist vor der amerikanischen Justiz ins Ausland geflohen und führt nun zusammen mit seinem Bruder Billy (Tom Burke) ein Leben als Krimineller in Bangkoks Rotlichtviertel. Die zwei ungleichen Brüder führen dort einen Kickbox-Club, der als Fassade für ihre illegalen Drogengeschäfte dient. Als Billy eines Nachts eine Prostituierte brutal ermordet, wird der Polizei-Lieutenant und selbst ernannte Racheengel Chang (Vithaya Pansringarm) auf den Fall angesetzt. Er sorgt dafür, dass Billy seine Tat mit dem Leben bezahlen muss.
 
Billys und Julians Mutter Crystal (Kristin Scott Thomas), die gleichzeitig auch das erbarmungslose Kartelloberhaupt ist, erfährt von dem Vorfall und reist höchstpersönlich nach Bangkok, um blutige Rache für die Ermordung ihres geliebten Sohnes zu fordern. Sie setzt Julian darauf an, den Mörder zu finden, nimmt die Dinge mangels Vertrauen in die Fähigkeiten ihres Zweitgeborenen jedoch gleichzeitig selbst in die Hand und setzt einen Killer auf Billys Mörder an. Als das Attentat scheitert, rückt die übriggebliebene Kartell-Familie ins Visier des erbarmungslosen Changs. Was folgt, ist eine blutige Fehde, bei der sich nicht etwa Gut und Böse gegenüber stehen – ersteres existiert in der filmischen Unterwelt Refns schon längst nicht mehr – sondern bei dem nur eines zählt: Vergeltung.

Leblos und doch magisch

Mit „Only God Forgives“ schafft Nicolas Winding Refn ein Arthouse-Drama, das zu gleichen Teilen auf der Heimkino-Leinwand und im Kopf des Zuschauers stattfindet. Er verzichtet bewusst darauf, seinen Figuren eine ausschweifende Vorgeschichte oder gar einen eindeutigen Charakter aufzudrücken. Stattdessen wirft er das Publikum ohne Vorwarnung in eine Welt voller Sünde, Verbrechen, Sex und Luxus, in der die Charaktere als beinahe leblose Schachfiguren fungieren. Die Protagonisten definieren sich nahezu ausschließlich über ihr Handeln, denn Dialoge, Mimik und Gestik werden nur spartanisch eingesetzt. Dadurch lebt das Drama von der Magie seiner Bilder und einer „Sprache des Schweigens“, die den Zuschauer durch ihre große Interpretationsfreiheit nicht nur während der Laufzeit, sondern noch weit darüber hinaus zum Mitdenken, Grübeln und Abwägen anregt. Auch wenn angesichts der Besetzung des Hauptdarstellers mit Ryan Gosling ein Vergleich zu „Drive“ naheliegt, hat das Publikum mit „Only God Forgives“ einen völlig anderen Film vor sich, der beinahe eine Art Gegenentwurf darstellt.
 
Während Gosling als „Driver“ einen zwar introvertierten, aber trotzdem charismatischen Helden verkörperte, ist er als „Julian“ das genaue Gegenteil: Vom Scheitel bis zur Sohle perfekt durchgestylt, dabei jedoch kalkuliert gesichtslos, wandelt er durch Bangkoks Unterwelt und vermittelt dabei durchweg eine Mischung aus Selbstzweifel, Resignation und dem Bedürfnis nach Sühne. Sein schuldbewusster Blick gilt daher häufig seinen Händen, den Werkzeugen des Mordes an seinem Vater. In der Handlung von „Only God Forgives“ hat er dabei nur eine tatsächliche Funktion: Den Spielball zwischen dem „Rachegott“ Chang und seiner teuflischen, rachelüsternen Mutter zu geben. Und genau diese beiden Charaktere bringen trotz ihrer Härte Leben und Magie in das Drama. Kristin Scott Thomas sorgt als scharfzüngige und bitterböse Rabenmutter für reichlich Unterhaltungswert und das ein oder andere Highlight, während Vithaya Pansringarm es mit seiner Darstellung des abartig brutalen und völlig skrupellosen Chang schafft, nicht nur den Protagonisten, sondern auch dem Zuschauer Angst einzuflößen. Gleichzeitig dient er als wandelnder Widerspruch, wenn er beispielsweise in der einen Szene noch „Gerechtigkeit“ in Form von menschenverachtender Folter ausübt, um nach einem fließenden Übergang in einer Karaoke-Bar herzerweichende, thailändische Balladen zum Besten zu geben.

Eiskaltes Fieber

Die Wirkung von „Only God Forgives“ beruht in erster Linie auf Nicolas Winding Refns einzigartiger Bildsprache. Der Zuschauer wird mit einer Mischung aus Kontrasten, Symbolik und bis an die Ekelgrenze reichender Brutalität konfrontiert, die für eine Art Faszination sorgt, wie man sie von Katastrophenvoyeurismus kennt: Das Publikum befindet sich beinahe durchweg an der Schwelle zur mentalen und moralischen Überforderung, wird immer wieder provoziert, ist abgestoßen, kann jedoch den Blick nie mehr als für ein paar Sekunden abwenden. Die in fiebrige Rottöne und diffuse Schatten getauchte und dabei eiskalt und ausweglos erscheinende Unterwelt Bangkoks – die beinahe statisch wirkende, sanft fließende Kameraführung mit wirkungsvollem Personenfokus – und die Gewaltdarstellung, die immer genau eine Sekunde mehr zeigt, als der Zuschauer eigentlich sehen will, sorgen zusammen für einen Sog, der das (hartgesottene) Publikum gegen seinen Willen fesselt. Kein Wunder also, dass während der Filmpremiere in Cannes so einige zartbesaitete Gemüter den Kinosaal noch während der Vorstellung verließen, da sie sich vielleicht auch etwas völlig anderes erwartet hatten. Betrachtet man die Filmografie Nicolas Winding Refns, wird jedoch schnell deutlich, dass eher „Drive“ der Film war, der aus der Reihe tanzte und dass der streitbare Däne mit „Only God Forgives“ nun zu seinen Wurzeln zurückgekehrt ist. Prinzipiell ist der neuste Film aber auch eine beachtliche Weiterentwicklung, was die märchenhafte Bildsprache anbelangt, und toppt damit den früheren Kunstfilm „Walhalla Rising“, der mit dem schweigsamen  Protagonisten „Einauge“ und dessen Abenteuer zwischen Himmel und Hölle bereits einen ähnlichen Weg ging.
 
Unser Fazit: „Only God Forgives“ ist kein Film, von dem man sich an einem Abend seicht berieseln lassen kann. Das durchgestylte Drama hat trotz oder vielleicht sogar gerade wegen seiner Härte jedoch eine mitreißende Bildgewalt zu bieten, die ihre Wirkung womöglich erst nach dem Anschauen gänzlich entfalten kann und den Zuschauer auch Tage später noch nicht loslassen will. Freunde des „Hardcore-Arthouse-Kino“ sind hier also genau richtig!

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