„Kriegssplitter“: Schweizer „Tatort“ um Folgen eines Krieges

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Bild: Destina - Fotolia.com
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Die Ereignisse eines Krieges können Menschen auch tausende Kilometer entfernt einholen, wie die Luzerner „Tatort“-Kommissare erfahren müssen. Trotz eines Schusses Erotik schleppt sich „Kriegssplitter“ allerdings eher spannungsarm ins Ziel.

Kommissar Reto Flückiger (Stefan Gubser) auf der Bettkante einer schönen Frau, und dann geht es erstmal heiß zur Sache. Nanu – im falschen Film? So privat kennt das Publikum den Schweizer „Tatort“-Ermittler gar nicht. Aber die Leiche lässt nicht lange auf sich warten: Als Flückiger kurz drauf mit seiner Evelyn schmusend auf dem Hotelbalkon steht, stürzt ein Mann vorbei in die Tiefe und landet krachend auf einem Autodach.
 
Von da an geht es etwas schleppend bis ins Ziel. Flückiger und seine Kollegin Liz Ritschard (Delia Mayer) ermitteln redlich, aber so richtig spannend wird es nicht. „Kriegssplitter“, an diesem Sonntag (20.15 Uhr) zu sehen, zeichnet Spuren nach, die aus einem hässlichen Krieg fast 4000 Kilometer weiter von Tschetschenien bis nach Luzern führen. Wer klare Gut-und-Böse-Welten mag und am Ende eines Krimis den vollen Durchblick schätzt, wird hier enttäuscht.

„Wir als Ermittler können bloß die verschiedenen „Splitter“ des auf Schweizer Boden fortgeführten Konflikts zusammensetzen und in Beziehung bringen – ohne jedoch restlos klären zu können, was wirklich geschah und wahr ist“, sagt Schauspieler Gubser.
 
In Luzern wohnt der aus Tschetschenien adoptierte Kriegswaise Nurali Balsiger (Joel Basman) seit seinem 5. Lebensjahr, ganz Schweizer. Er hat mit der Heimat abgeschlossen, lebt die Familienidylle mit Frau und Kind. Bis seine Zwillingsschwester Nura (Yelena Tronina) plötzlich auftaucht. Die Freude ist groß, wehrt aber nur, bis ihre Waffe im Rucksack zum Vorschein kommt.
 
Die Schweizer haben seit den 90er Jahren tausende Tschetschenen aufgenommen, die vor dem Gemetzel zwischen Unabhängigkeitskämpfern und Russen geflohen waren. Nicht alle durften bleiben. Gerade macht das Schicksal von Linda und Marha die Runde in sozialen Medien, die nach vier Jahren Schule in der Schweiz 2016 zurück mussten. In reinstem Schwiizerdütsch erzählen die Mädchen traurig aus der Hauptstadt Grosny von ihrer Sehnsucht nach der Schweiz.
 
Nuralis Schwester treibt nicht die Sehnsucht nach Luzern, sondern Hass und Rachegelüste. Sie jagt ihren Onkel (Jevgenij Sitochin), der ihrer Überzeugung nach die Mutter zu einem Selbstmordattentat gegen Russen zwang. Es gibt aber noch andere, die hinter dem Mann her sind. Der Mann zum Beispiel, der aus dem Hotelfenster stürzte, Journalist Manser. Er hielt den Onkel, der unter dem Decknamen Abaev in Luzern lebt, für einen Kriegsverbrecher. Und dann tauchen auch noch ein finsterer Tschetschene und ein aalglatter Russe auf.
 
Es geht um Krieg in einem fernen Land, um Misstrauen, Folter, Hass und Terror. „Wir haben doch keine Ahnung, wer dieser Abaev ist,“ sagt Flückiger irgendwann. „Widerstandskämpfer, Terrorist, Witwentröster, Held – ist alles eine Frage der Perspektive.“ Daraufhin Ritschard: „Es erwartet niemand von uns, dass wir diesen Konflikt lösen. Wenn er Manser umgebracht hat, ist er für uns ganz einfach ein Mörder.“
 
Dann läuft auf der Straße eine schwarze Katze von rechts nach links durchs Bild. Soll das nicht Glück verheißen? Auch eine Frage der Perspektive, denn wenig später, Minute 45 im Film, fällt der erste Schuss. Es folgen Flucht, Versteck, Bedrohung – und schließlich ein blutiges Ende. Es scheint den Richtigen getroffen zu haben. Man steht schon fast auf, um sich vor Anne Wills Talkshow noch einen Drink zu holen, da stellt sich heraus: Mansers Mord ist noch ungeklärt. Aber das kommt noch, fast wie im Nachspann, und unspektakulär.
 
Was bleibt vom vom elften Schweizer „Tatort“? Der Züricher Schauspieler Joel Basman (27) spielt klasse. Er lässt die Kiefer sichtlich malmen, wenn Wut und Fassungslosigkeit gefragt sind. Yelena Tronina spielt seine Schwester mit ähnlich packender Leidenschaft. Den originellsten Fluch schafft der Untertitelschreiber, der eine tschetschenische Beleidigung mit „debiles Schwein“ übersetzt.
 
Delia Mayer haben Stefan Brunner und Lorenz Langenegger eine so blasse Figur ins Drehbuch geschrieben, dass ein beherzter Sprung über den Balkon als einzige Szene hängenbleibt. Gubser ist die facettenreichste Figur. In Kommissar-Manier tritt er einem eiskalten Möchtegern-Killer beherzt die Waffe aus der Hand. Viel überraschender setzt Regisseur Tobias Ineichen ihn in seinem vierten „Tatort“ aber beim Beine-Streicheln, Dekolleté-Küssen und BH-Öffnen in Szene.

[Christiane Oelrich/buhl]

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