Telekom: „Interaktivität ist kein Selbstzweck“

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Bild: © Victoria - Fotolia.com
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Leipzig – DIGITAL FERNSEHEN erkundigte sich in einem Interview mit Frank Lonczewski zum Interactive TV Award der Deutschen Telekom.

Frank Lonczewski ist Senior Manager Product Management für IPTV und interaktives Fernsehen im Bereich Products & Innovation der Deutschen Telekom in Darmstadt. Außerdem ist er verantwortlich für die Durchführung des Interactive TV Awards der Deutschen Telekom.
 
DF: Herr Lonczewski, interaktives Fernsehen steckt in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Welche Gründe sehen Sie?
 
Frank Lonczewski: Sowohl Plattformbetreiber als auch Programmveranstalter sehen sich nach wie vor damit konfrontiert, dass die erforderlichen Investitionen zur Realisierung von interaktiven TV-Angeboten momentan sehr hoch sind – neue Geschäftsmodelle müssen sich erst noch beweisen. Die Anforderungen an die Technologie und der Produktionsaufwand für geeignete Formate sind enorm. Außerdem gibt es noch keine anerkannten, plattformübergreifenden Standards für Interaktivität.
Auch die Zuschauer wollen erst noch davon überzeugt werden, dass interaktive Angebote einen Teil des besseren Fernsehens für sie ausmachen kann. Nach meiner Meinung hapert es hier bisher am richtigen Zuschnitt solcher Angebote auf den Nutzungskontext im Wohnzimmer.
Mit unserem Angebot „Entertain“ von T-Home setzen wir an diesem Punkt an: Unsere Strategie konzentriert sich zunächst auf interaktive Angebote, die nachweislich den Nutzer ansprechen – alsoeinfach zu bedienen sind und einen echten Mehrwert bieten. Ein gutes Beispiel ist die interaktive „Liga total“-Applikation, mit der sich unsere Bundesliga-Kunden über alle Spielszenen auf dem Rasen informieren können. Nicht nur live, sondern auch auf Abruf, zu jeder beliebigen Zeit. So verpasst man gar nichts mehr – „Liga total at your fingertip“.
 
DF: Wie weit sind Anbieter im Ausland? Welche interaktiven TV-Anwendungen sind dort schon im Zuschaueralltag angekommen?
 
Frank Lonczewski: In den Märkten anderer Länder treffen wir unterschiedliche gesetzliche und regulatorische Rahmenbedingungen an. Daher sind dort Geschäftsmodelle möglich, die bei uns nicht ohne Weiteres denkbar sind – etwa interaktive Sportwetten am Bildschirm wie in England, Irland, den USA und Australien.
Im Gegensatz zu Deutschland ist Multimedia Home Platform (MHP) in Italien ungleich erfolgreicher unterwegs, was auch daran liegen mag, dass es dort sehr einfach und erschwinglich ist, passende Geräte zu kaufen. Mit deren Verbreitung in vielen Haushalten haben sich auch interessante Geschäftsmodelle entwickelt. Ein Beispiel: Zuschauer erwerben am nächsten Kiosk Prepaid-Karten und schalten damit ganz unkompliziert Fußballübertragungen frei, bis das bestehende Guthaben erschöpft ist.
In den USA gibt es seit Jahren Voting-Applikationen. Mit ihrer Hilfe kann der Zuschauer auf Knopfdruck seine Meinung zum laufenden Programm abgeben.
Interessant sind auch die ersten Gehversuche von interaktiven Werbeformen auf TV-Plattformen im europäischen Umfeld. Rückkanalfähige, integrierte Plattformen eröffnen hier neue Möglichkeiten für die werbetreibende Industrie, die Programmveranstalter wie auch die Plattformbetreiber. Zum Beispiel gibt es interaktive Werbeflächen, die passend zum laufenden TV-Programm im richtigen Augenblick eingeblendet werden können. Zuschauer können sich dann mit der Fernbedienung mehr Informationen auf den Bildschirm holen. Verpassen werden Sie dabei nichts -denn die laufende Sendung kann im Hintergrund automatisch weiter aufgezeichnet werden, bis der Nutzer zum Programm zurückkehrt. Danach geht es dann an der Stelle weiter, an der man das Programm verlassen hat.
Zur Entwicklung von interaktiven TV-Applikationen tauschen wir uns kontinuierlich mit Partnern weltweit aus und beobachten, dass eine ständig wachsende Zahl von Unternehmen an der Entwicklung von interaktiven, wohnzimmergerechten Applikationen arbeitet.
 
 
DF: Wie viel Interaktivität bieten Sie mit Entertain von T-Home an?
 
Frank Lonczewski: „Liga total“ bietet schon eine ganze Menge an Funktionen. Interaktivität heißt hier: Fußballfans bestimmen selbst, wie, wann und wie oft sie die Liga-Spiele ansehen und welche Zusatzinformationen sie konsumieren. Mit dem Programm-Manager kann ich meinen eigenen Sendeplan programmieren – und zwar dank Internet egal wo ich gerade bin. Unser plattformübergreifendes Angebot „Vernetztes Leben und Arbeiten“ bringt, wie der Name schon sagt, alle meine täglichen Aktivitäten auf den Fernseher: angefangen von meinen E-Mails über meine Bilder und meine Musik bis hin zum Zugriff auf das Wettervorhersage. Wir arbeiten auch an Konzepten, wie man zum Beispiel Internetauktionen wie Ebay oder Communities wie Facebook zusätzlich integriert.
Wir sind aber davon überzeugt, dass Interaktivität kein Selbstzweck ist. Sie muss die Bedürfnisse und die Interessen der Zuschauer ansprechen und gleichzeitig muss die Bedienung intuitiv und einfach bleiben. Heute sind wir damit ganz am Anfang der Entwicklung und werden noch weitere Erfahrungen mit der Integration von Interaktivität in unserem Plattform sammeln müssen – das gilt auch für die kommerziellen Aspekte, die damit verbunden sind.
 
DF: Welche Vorteile sehen Sie in der Verbreitung interaktiver TV-Applikationen über VDSL gegenüber dem Kabel?
 
Frank Lonczewski: VDSL ist keine Voraussetzung für Interaktivität. Unsere Kunden haben sowohl über ADSL2+ als auch über VDSL Zugriff auf die interaktiven Dienste von Entertain. VDSL bietet mit bis zu 50 MBit/s im Downstream und bis zu 10MBit/s im Upstream ausreichend dedizierte Bandbreite pro Kunde auch für Inhalte, die deutlich höhere Anforderungen an Übertragungskapazitäten stellen. Interaktive Anwendungen und Signale für die Fernsehinhalte kommen beide über den DSL-Anschluss nach Hause. Als Übertragungsstandard wird dabei das Internet Protocol (IP) benutzt.
Im Unterschied dazu übertragen digitale Kabelnetze die Fernsehsignale auf Basis des DVB-Standards. Für rückkanalfähige, interaktive Applikationen wird zusätzlich auch IPgenutzt.
Aber genau hier liegen die Grenzen des Kabel-Ansatzes: Die Bandbreite, die in Kabelnetzen für die IP Kommunikation genutzt wird, müssen sich eine ganze Anzahl von gemeinsam angeschlossenen Haushalten teilen. Darüber hinaus ist die individuelle Bandbreite im Upstream im Vergleich zum VDSL Netz systembedingt geringer.
Dies kann dazu führen, dass bandbreitenintensive Applikationen bei einer hohen Anzahl gleichzeitig aktiver Nutzer in Kabelnetzen eher an Grenzen stoßen als im VDSL-Netz.
 
DF: Der Interactive TV Award findet zum zweiten Mal statt. Welches Fazit haben Sie aus dem ersten Award gezogen?
 
Frank Lonczewski: Wir haben einen erfolgreichen Wettbewerb ins Leben gerufen, der weltweit für Aufmerksamkeit gesorgt hat: 2008 sind über 100 Konzepte aus 13 verschiedenen Ländern eingereicht worden. Das hat uns gezeigt: Die Communities der Developer zeigen großes Interesse an der Entwicklung von interaktiven Applikationen auf dem Fernseher.
Allerdings scheitern viele innovative Konzepte immer noch an technischen Restriktionen. Je eher diese aufgehoben werden, desto schneller entwickelt sich das neue Fernsehen. Auch das haben wir im Award 2008 gelernt und konsequent daran gearbeitet, die technischen Barrieren aufzuheben, nicht nur im Award, sondern auch in unserem Produkt.
Und: Über den Award hatten unsere Zuschauer die Möglichkeit, ihre Produktideen und -ergänzungen für Entertain einzureichen. Dieses Feedback nutzen wir, um ganz gezielt Kundenwünsche in die Weiterentwicklung des Produktes einfließen zu lassen.
 
DF: Was ist mit den Konzepten der letztjährigen Gewinner geschehen? Welches wurde in die Tat umgesetzt?
 
Frank Lonczewski: Die Deutsche Telekom ist sehr daran interessiert, das Gewinnerkonzept 2008 zur Marktreife zu führen. Dieseinteraktive Anwendung gibt Zuschauern die Möglichkeit, aus dem laufenden Programm heraus Informationen anzufordern, zum Beispiel über eine Automarke, einen Einrichtungsgegenstand oder einen Anbieter, bei dem ich das Kleid der Darstellerin aus der gerade laufenden Soap kaufen kann. Es genügt ein Tastendruck auf der Fernbedienung und die Infos werden als E-Mail, MMS oder SMS versandt. Wenn ich zum Beispiel ein Rezept anfordere, erhalte ich die Einkaufsliste bequem auf mein Handy. Wenn ich ein Hobbykoch wäre, ich würde mich freuen, dass das Nachkochen so einfach wird.
Wir wollen das Konzept umsetzen und haben Gespräche mit Partnern angestoßen. Aktuell entsteht ein Showcase. Wenn die Vertragspartner einer Weiterentwicklung zustimmen, gibt es einen ersten Piloten.
 
DF: Welche Neuerungen gibt es im Vergleich zum ersten Interactive TV Award?
 
Frank Lonczewski: Dank der neuen Kategorie „Freestyle“ können 2009 auch Kreative und Vordenker mitmachen, nicht nur Programmierer, wie noch im letzten Jahr. Auch haben wir eine neue Entwicklungsumgebung zur Verfügung gestellt mit noch mehr Gestaltungsspielraum für interaktive Anwendungen.
Im Übrigen geht der Wettbewerb in diesem Jahr über sieben Monate, ist im Vergleich zu 2008 also fast um ein Drittel kürzer. Das bedeutet weniger Aufwand für die Beteiligten. Dadurch können auch Teilnehmer die Einladung annehmen, die zwar gute Ideen, aber nicht genug Kapazitäten haben, sie ausführlich auszuarbeiten. In 2009 haben wir überdies gar keine Beschränkungen in Bezug auf das Spektrum der Teilnehmer: Von professionellen Einzelpersonen bis Unternehmen und Institutionen jeglicher Größe können alle mitmachen.
Und wir wollen Offenheit, wir wollen mit Teilnehmern und Interessierten direkt sprechen. Deshalb sind wir mit dem Interactive TV Award auch auf Community-Plattformen wie Facebook, XING oder Twitter gegangen. Dort können sich Teilnehmer und Enthusiasten des interaktiven Fernsehens untereinander ebenso wie mit unseren Organisatoren unmittelbar austauschen. Wir sind davon überzeugt, dass wir dadurch gemeinsam das Thema interaktives Fernsehen nach vorne bringen werden.
 
DF: Was verbirgt sich hinter dem Mediaroom Presentation Framework?
 
Frank Lonczewski: Diese Technologie gibt dem interaktiven Fernsehen ein ganz neues Gesicht: neue interaktive Elemente, noch größeren Bedienkomfort und Schnelligkeit. Zuschauer können Videos und Episoden zum Beispiel über animierte Menüs auswählen. Darüber hinaus unterstützt das Mediaroom Presentation Framework (MPF) Abstimmungen während des laufenden TV-Programms und neue Spiele. Stellen Sie sich vor, es gibt bald eine Vorabend-Serie, bei der die Zuschauer entscheiden, wie es mit der Geschichte weitergeht. Das wird mit der neuen Technologie ohne Medienbruch möglich sein.
Technisch gesehen stellt MPF eine Sammlung von Werkzeugen zur Verfügung, die es Software-Entwicklern ermöglicht, interaktive Applikationen zu schaffen, die TV-Inhalte nahtlos mit Webinhalten und -diensten verbindet. Vorgefertigte Softwarekomponenten und eine integrierte Entwicklungsumgebung reduzieren die Entstehungszeit der Anwendungen, während ein eingebauter Simulator hilft, den geschaffenen Code schon während der Entwicklung auszutesten. So entstehen professionelle, interaktive TV-Applikationen für unser Produkt Entertain in kürzester Zeit.
 
DF: Können Sie abschließend etwas zum zeitlichen Ablauf des Awards sagen? Wann werden die Sieger gekürt?
 
Frank Lonczewski: Offizieller Start des Awards war der 1. August. Ein erstes Highlight ist sicher das Entwicklertreffen auf der IFA in Berlin am 4. September. Einsendeschluss für die Beiträge ist der 1. Oktober. Schon Anfang November gibt die Jury die Finalisten bekannt. Sie haben dann Zeit bis Mitte Januar, um ihre Konzepte zu verfeinern oder auf der Entwicklungsumgebung zu visualisieren. Anfang Februar fällt die Jury-Entscheidung. Die Gewinner der zweiten Runde verraten wir allerdings erst auf der CeBIT 2010. Ein bisschen Spannung muss sein.
 
DF: Vielen Dank für das Gespräch. [fp]

Das Interview gibt die Meinung des Interviewpartners wieder. Diese muss nicht der Meinung des Verlages entsprechen. Für die Aussagen des Interviewpartners wird keine Haftung übernommen.

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1 Kommentare im Forum

  1. AW: Telekom: "Interaktivität ist kein Selbstzweck" Antwort von mir. Weil bis jetzt alles was den Namen Interaktiv trug nur Kunden Abzocke war und nicht angenommen wurde.
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