Berlin – Heute um 21.15 Uhr zeigt Sat.1 die erste Folge der neuen Serie „Gnadenlos gerecht – Sozialfahnder ermitteln“. Die Ankündigung des neuen Formats sorgte auf Seiten von Arbeitslosenverbänden bereits im Vorfeld für starke Kritik.
In der Sendung machen sich die beiden Sozialfahnder Helge Hofmeister (49) und Helena Fürst (34) in die Spur, um „mutmaßliche Hartz-IV-Betrüger“ zu entlarven,wie DIGITAL FERNSEHEN gestern berichtete. DF sprach mit Marion Drögsler, Vorsitzende Arbeitslosenverband Deutschland Bundesverband e. V., die das Format bereits vor Sendebeginn ablehnt.
DIGITAL FERNSEHEN: Frau Droegsler, Sat.1 strahlt heute um 21.15 Uhr die neue Serie „Gnadenlos gerecht – Sozialfahnder ermitteln“ aus, in der laut Sender „Sozialbetrüger gejagt“ werden. Was hält der Arbeitslosenverband Deutschland von dem neuen Format?
Marion Drögsler: Der Arbeitslosenverband Deutschland Bundesverband e. V. hat sich zum Ziel gesetzt, Menschen, die von Arbeitslosigkeit betroffen oder bedroht sind, zu helfen, um aus dieser Situation wieder herauszukommen. Damit unterstützen wir alle Bemühungen, die ebenfalls dieses Ziel verfolgen. Die neue Serie „Gnadenlos gerecht – Sozialfahnder ermitteln“ wird diesem Ziel nicht gerecht werden können.
DIGITAL FERNSEHEN: Woran genau stören Sie sich?
Marion Drögsler: Mit der öffentlichen Verfolgung von sogenannten „Hartz-IV–Betrügern“ wird der Eindruck vermittelt, dass dieser Betrug mehrheitlich an der Tagesordnung ist. Dies ist aber nicht der Fall! Selbst die Bundesagentur gesteht ein, dass die Zahl der Betrugshandlungen gering und rückläufig ist.
Die Serie lässt dies völlig außer Acht. Die gesendeten Beiträge beziehen sich immer auf Einzelfälle, die so in Deutschland nicht noch einmal vorkommen und wir hoffen, auch keine Anleitung zum Nachahmen sein sollen.
Die tatsächliche Notlage der Betroffenen und die gesellschaftlichen Ursachen dafür werden aber nicht berücksichtigt oder gar sachlich aufgezeigt. Im Gegenteil: Im Ergebnis der Sendung wird die öffentliche Meinung zu Betroffenen von Hartz IV massiv negativ beeinflußt werden. Arbeitslose werden ein erneutes Mal öffentlich diskriminiert und kriminalisiert werden. Dies – und nicht die wirkliche Not der Menschen – wird bei den Zuschauern (dazu gehören ja auch Politiker) hängen bleiben.
Die dringend notwendigen Veränderungen im SGB II – zuallererst die wesentliche Erhöhung der Regelsätze für alle Betroffenen, um ein menschenwürdiges Leben in Deutschland führen zu können – und die Schaffung von existenzsichernden Arbeitsplätzen spielen in der Sendung keine Rolle. Aber nur damit gäbe es einen Ausweg aus der millionenfachen Not der Betroffenen.
Ebenso werden die Zuschauer keine Informationen über soziale Einrichtungen erhalten, in denen die betroffenen Rat und Hilfe zur Selbsthilfe erhalten können. Einrichtungen, die für viele Menschen nicht nur lebensnotwendig, sondern in vielen Fällen einfach überlebensnotwendig sind. Einrichtungen – wie auch die Treffpunkte des Arbeitslosenverbandes – die von der Anzahl her in Deutschland immer weniger werden, obwohl sie immer mehr gebraucht werden.
DIGITAL FERNSEHEN: Wie müsste eine Serie zum Thema konzipiert sein, um wirklich Ansätze zur Hilfe bieten zu können?
Marion Drögsler: Helfen könnte den Betroffenen wohl nur eine Sendung, die die Rechtslage klar und für die Menschen verständlich erklärt und über Rechtsansprüche der nüchtern Betroffenen aufklärt. Das müsste Sat.1 wollen.
Mit der neuen Serie (so neu ist das Thema allerdings nun auch wieder nicht) geht es doch nur um eine reißerische Aufmachung von skandalösen Einzelfällen – sowohl was die Betrugshandlungen betreffen, als auch die erschütternden Einzelbeispiele von tatsächlicher Not – um im Kampf um die Einschaltquoten und Gewinne vorn zu liegen. Helfen wird die Sendung tatsächlich nur Sat.1 selbst.
DIGITAL FERNSEHEN: Frau Drögsler, vielen Dank für das Interview. [mw]
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