Raumklang im Heimkino

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Raumklang im Heimkino, Teil 4

Surround über Kopfhörer

Wird Musik über Kopfhörer wiedergegeben, ergibt sich keine Lokalisation des Schallereignisses neben, vor oder hinter dem Zuhörer. Dabei spricht man von der „In-Kopf-Lokalisation“ (IKL). Mit aufgesetztem Kopfhörer ist unser Hörvermögen lediglich auf die Parameter links und rechts beschränkt, da das Hören von vorn, hinten sowie oben und unten entfällt. Eine echte Tiefenstaffelung ist somit bereits aus evolutionären Gründen nicht möglich. Bereits im Stereo betrieb kann ein Kopfhörer niemals an eine korrekte lautsprecherbasierte Schallwandlung heranreichen und stößt bei der Surround-Wieder gabe sogar noch schneller an seine Grenzen. Die bei einer Surround-Aufnahme eingefangenen Details und räumlichen Verhältnisse werden dabei zu stark verfälscht übertragen. 
 
Das gesamte akustische Geschehen wird auf den schmalen Bereich zwischen den Ohren komprimiert und das einst umhüllende Orchester spielt auf diesem Übertragungsweg direkt im Kopf. Die aufgezeigten Nachteile stehen im deutlichen Gegensatz zu der sonst angestrebten naturgetreuen Wiedergabe. Trotz der unterschiedlichsten Lösungsansätze und Technologien bieten die verschiedenen Bemühungen bislang kein ausgereiftes Produkt. Auch die technisch aufwendigsten Kopfhörer schaffen es nicht, dasselbe Gefühl zu vermitteln, das in einem Konzertsaal entsteht, wenn man einzelne Orchesterinstrumente im Raum einwandfrei lokalisiert.
 
Die Kopfhörerwiedergabe wird zudem der Natürlichkeit kaum mehr gerecht. Wird in der Natur ein Geräusch von nur einer Seite wiedergegeben, nehmen wir dies stets mit beiden Ohren wahr. Kommt das über den Kopfhörer übertragene Signal jedoch nur von links, entsteht für uns ein ungewohntes Klangbild. Die bisher realistischste Variante der Kopfhörer übertragung ist gleichzeitig auch die aufwendigste und einseitigste. Die Rede ist von der sogenannten Kunstkopftechnologie.
 
Während der Tonaufnahmen kommt eine realistische Nachbildung des menschlichen Kopfes zum Einsatz, in dessen aus Silikon gefertigten Ohren und Gehörgang jeweils ein Kugelmikrofon eingebaut ist. Durch die genaue Nachbildung des menschlichen Originals sollen die gleichen Reflexions- und Abschattungsverhalten wie beim Menschen erreicht werden. Mit dem Kunstkopf werden sehr realistische Aufnahmen erlangt, die bei der Kopfhörerwiedergabe sehr nah an das Original heranreichen.
 
Funktioniert bei jenen Aufnahmen die Links-rechts-Lokalisation sehr gut, treten die größten Probleme bei der Vorne-Lokalisation auf, die nur sehr ungenau wiedergegeben wird. Ein weiterer Nachteil dieses Verfahrens ist der sehr hohe Kostenaufwand des Kunstkopfsystems, dessen Ergebnis zudem lediglich für die Kopfhörerwiedergabe geeignet ist. Würde man eine Kunstkopfaufnahme über ein herkömmliches Lautsprechersystem wiedergeben, währe das Klangergebnis unverhältnis mäßig verzerrt.

Eine ganz andere Methode des dreidimensionalen Hörens stammt von Professor Edgar Choueiri von der Princeton School of Engineering. Choueiri bemängelt die fehlende Lokalisationsschärfe bei einer herkömmlichen Lautsprecheranordnung, die sich selbst im Surround-Betrieb nicht wesentlich verbessern würde. Das Hauptproblem sei das Übersprechen der beiden Frontkanäle direkt an den Ohren des Zuhörers. Mit einer speziellen Crosstalk-Cancellation-Technik (XTC) soll dieses „Problem“ überwunden und die Lokalisationsschärfe sowohl in der Breite als auch in der Tiefe der Abbildung noch realitätsnäher dargestellt werden. Grundvoraussetzung für dieses Prinzip ist die Schallaufzeichnung mittels eines Kunstkopfmikrofons, wie es bisher ausschließlich bei der binauralen Kopfhörerstereofonie verwendet wurde. 
 
Mittels spezieller Algorithmen, die Phasenverschiebungen sowie -auslöschungen beinhalten, soll die Crosstalk-Kompensation soweit gelingen, dass kein Übersprechen der Kanäle auf das gegenüberliegende Ohr mehr stattfindet. Die bisher rein für die Kopfhörerwiedergabe angefertigten Schallaufnahmen sollen so erstmals ebenbürtig auf ein Stereolautsprecherpaar übertragen werden. Die Bewegungsfreiheit, die ein Kopfhörer bietet, bleibt bei Choueiris selbst betitelter Pure-Stereo-3D-Audiotechnik jedoch außen vor.
 
Befindet man sich nicht unmittelbar im vorher festgelegten Sweetspot, fällt das System wie ein Kartenhaus zusammen und klingt nur noch unnatürlich und nicht mehr greifbar. Um solch eine Wiedergabe jedoch überhaupt erst zu ermöglichen, muss zuvor eine komplexe Akustikmessung vorgenommen werden. Mithilfe zweier In-Ear-Kopfhörer werden die Hi-Fi-Kette, die Lautsprecher, der Hörraum sowie die Kopf-, Rumpf- und Ohrgröße gemessen und die Daten auf einem Computer gespeichert.
 
Anschließend wird ein eigenes Filter berechnet, das auf einen externen digitalen Audioprozessor geladen wird. Je nach Sitzposition und Familienmitglied muss ein personalisierter Filter erstellt werden. Durch den enormen Aufwand und die sehr eingeschränkten Wiedergabemöglichkeiten wird es sicherlich noch einige Zeit dauern, bis sich diese Technik im Unterhaltungselektronik-Bereich durchsetzen wird.

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