Sherlock Holmes

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Sherlock Holmes, Teil 4

Die Suche nach der Wahrheit

Auf dem Sofa liegend, drogenbetäubt

Robert Downey Jr. erscheint weder wie die von Doyle beschriebene hagere Figur, noch besitzt er eine raubvogelartige Hakennase, mit der der Zeichner des Strand Magazines, Sidney Paget, den Detektiv um die Jahrhundertwende ausstattete. Von dem auch durch Pagets Illustrationen etablierten Deerstalker-Hut ist in dem Film ebenfalls nichts zu sehen. Anstatt die Stradivari-Violine zu streichen, zupft und hämmert der Kriminalist zur Beruhigung darauf herum – ein klarer Hinweis auf die deutlich rauere Interpretation der Figur. Zugleich hält dieser Part einen Verweis auf Basil Rathbones „Fliegenszene“ in „Die Abenteuer des Sherlock Holmes“ (1939) bereit. Auch dort beeinflusst Holmes die Flugrichtung gefangener Insekten mit Tonleitern auf seiner Violine. Erklärt wird das obskure Experiment durch den rauschhaften Zustand, in dem Watson seinen detektivischen Freund vorfindet.
 
Von dem oft tristen Arbeitsalltag gelangweilt begibt sich Holmes immer wieder auf einen bewusstseinserweiternden Kokaintrip. Den Sittenwächtern (bzw. der PG-13- oder auch FSK-12-Freigabe) zuliebe wird sein notorischer Drogenkonsum aber nur abgeschwächt mittels einer kurzen Bemerkung Watsons („Sie wissen, dass das, was sie trinken, eigentlich für die Augenheilkunde gedacht ist?“) angedeutet. Ähnlich der Vorgehensweise in der Kurzgeschichte „Der Teufelsfuß“ schreckt der Ermittler nicht davor zurück, die Methoden seines Widersachers Blackwood im Selbstversuch zu erkunden. Im Kokainrausch und in einem heidnischen Symbol sitzend überschreitet er seine geistigen Grenzen, um nach der Wahrheit zu fahnden.

Dem Wissenschaftsoptimismus der Jahrhundertwende folgend sieht der rationale Denker jedwedes menschliche Handeln als eine logische Folge auf ein Ereignis. Das Individuum wird zum reaktionären Etwas, das blind der Befriedigung der Bedürfnisse folgt. Der Zufall ist gänzlich ausgeschlossen. Darum erfüllt es Holmes mit besonderem Interesse, wenn ihm ein Fall so unfassbar kurios erscheint, dass es fast an etwas Okkultes grenzt. Genau solch ein Konstrukt liefert die vermeintliche Auferstehung des vormals gehängten Lord Blackwood, der mit seinen übernatürlichen Fähigkeiten die Londoner Unterwelt in Atem hält.
 
Conan Doyle liebte den Mystizismus, der in seinen Geschichten meist aus dem exotischen Ausland stammte. Zum Beispiel lässt er in einem von Holmes‘ ersten Fällen, „Das Zeichen Vier“, die Durchführung des Mordes für einen normalen Menschen zu absurd erscheinen. Die Spuren scheinen eher tierischen Ursprungs zu sein. Das Mordinstrument: ein Dorn mit einem fremden Gift. Das Motiv: ein lange gehüteter Schatz aus Indien. Ähnlich sieht es in „Der Mann mit dem geduckten Gang“ aus, in dem die arme Mrs Presbury des Nachts eine tierische Gestalt mit menschlichen Eigenschaften an ihrem Fenster wahrnimmt. In der bekanntesten Geschichte „Der Hund der Baskervilles“ geht sogar der Mythos um, ein riesiger Gespensterhund mache das Dartmoor unsicher. In solchen Fällen lässt Holmes gerne seinen Lieblingsspruch los: „Wenn man das Unmögliche ausgeschlossen hat, dann ist das, was übrig bleibt, die Wahrheit, wie unwahrscheinlich es auch sein mag.“
 
Folglich ist eine rationale Erklärung also nicht weit. So versteht sich die komplett neu konstruierte Handlung von Ritchies Verfilmung als Fortführung von Doyles beliebtesten Werken. Ungeachtet der empirisch korrekten Verhältnisse zur Jahrhundertwende wird Blackwood der Schwarzen Magie bezichtigt und wegen des Ritualmordes an fünf Frauen verurteilt. Seine Macht bewirkt dabei Übermenschliches. Watsons eigenhändig ausgestellter Todesurkunde zum Trotz scheint er quicklebendig durch die Gegend zu laufen und auch seine ausgesprochenen Flüche treffen mit tödlicher Sicherheit. Mit seiner Macht verzaubert er die Menschen und erlangt so die Kontrolle über den uralten Geheimbund, der schon seit Ewigkeiten versucht, London zu unterwerfen.
 
Dass es sich daher keinesfalls um einen „Whodunit“-Krimi (Wer hat’s getan?), sondern vielmehr um einen abenteuerlichen Thriller handelt, setzt die von Anfang an offen dargestellte Bösartigkeit des Widersachers voraus. Auch dies erscheint im Sinne einiger klassischer Holmes-Geschichten nicht abwegig. Das Mysterium liegt hier ähnlich wie in „Der begehrte Junggeselle“ in der Frage „Wie hat er es gemacht?“ bzw. „Was bezweckt er damit und wo schlägt er als Nächstes zu?“.

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