Sherlock Holmes

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Sherlock Holmes, Teil 5

Fiktion oder Wirklichkeit?

Die holde Weiblichkeit

Wer versucht, die neu kreierte Geschichte im Originalkanon einzugliedern, der beginne seine Betrachtung zunächst bei den auftretenden Frauen. Zu Beginn des Films ist Watson im Begriff, die heimelige WG in der Baker Street aufgrund seiner anstehenden Heirat aufzulösen.
 
Seine Verlobte ist Mary Morstan (Kelly Reilly), die hübsche Millionärstochter und Auftraggeberin in „Das Zeichen Vier“. Jene ist es übrigens auch, die sich als Fan von Detektivgeschichten wie z. B. denen mit Edgar Allan Poes Auguste Dupin entpuppt, Holmes’ geistigem Vorbild. Sherlock wiederum scheint schon so einige Male mit Irene Adler (Rachel McAdams) aneinandergeraten zu sein, die ihm in ihren Fähigkeiten nahezu ebenbürtig wirkt.
 
In „Ein Skandal in Böhmen“ ist sie niemand Geringeres als die ehemalige Geliebte des böhmischen Kaisers, vertreibt mit zielsicherer Waffenhand böse Buben und vermag es sogar, den Kriminalistenkönig persönlich mit einer Verkleidung zu täuschen. Kein Wunder, dass die talentierte Frau in Holmes‘ eher gefühlskalter Welt als Einzige seinen Kopf verdrehen kann. Daher gilt sie für alle Zeit als „Die Lady“, worauf übrigens eine aus dem Film entfernte Szene referiert.

Nur der Trailer zeigt die handgreifliche Auseinandersetzung zwischen den beiden, die mit Holmes‘ Warnung „Seien Sie eine Lady!“ und der anschließenden Missachtung durch Adlers Knie in den detektivischen Weichteilen endet.
 
Zwischen „Ein Skandal in Böhmen“ und dieser Story muss allerdings mehrmals etwas zwischen den beiden vorgefallen sein, denn so misstrauisch wie Sherlock seiner Angebeteten gegenüber ist, dürfte sie ihn bereits des Öfteren betäubt zurückgelassen haben. Dass es sich bei Adlers schattenhaftem Auftraggeber um den Erzfeind Nummer eins, Professor Moriarty, handelt, dürfte jedem Zuschauer klar sein. Demnach spielt das Ganze noch vor „Sein letzter Fall“, in dem der britische Meisterdetektiv mit dem nicht minder intellektuellen „Napoleon des Verbrechens“ in die Tiefe der Schweizer Reichenbachfälle stürzt.

Tod und Wiedergeburt

Zum Zeitpunkt des Erscheinens dieser Geschichte versetzte ebenjene ein ganzes Land in Trauer – kurioserweise wegen dem Tod einer fiktiven Figur. Aufgebrachte Leser schrieben Doyle geflissentliche Briefe, einige trugen sogar schwarze Armschleifen. Das kam aber nicht von ungefähr. Conan Doyles Artikel „Zur Person: Sherlock Holmes“ (Strand Magazine, 1917) zufolge, glaubten die enthusiastischsten Leser tatsächlich an Holmes‘ Existenz und schickten ihre Autogrammbücher zu Händen des Meisterdetektivs. Andere wiederum konsultierten Doyle selbst mit echten kriminalistischen Fällen, in der Hoffnung, der Autor besitze die gleichen Fähigkeiten wie seine Romanfigur. Dass dessen Stärke jedoch eher im Literarischen lag und nicht in der polizeilichen Ermittlungsarbeit, kam jenen nicht in den Sinn.
 
Dennoch gab es einige Fälle für die sich der britische Schriftsteller engagierte. Einer davon war der des Oscar Slater. Weil es dem Verdächtigen unmöglich war, seine Unschuld zu beweisen, wurde er wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Doyle sah sich hier selbst als (laienhaften) Ermittler im Geiste und unterstützte den Mann, indem er nach den verbüßten 15 Jahren die gerichtliche Revision finanzierte – mit Erfolg (nachzulesen in „Das Vermächtnis des Sherlock Holmes“, 1989, Xenos). Sherlocks Tod währte aufgrund der hohen Resonanz der Fans „nur“ neun Jahre, in denen sich Doyle von der strapaziösen Produktion der Holmes- Geschichten erholte.
 
1902 erschien „Der Hund der Baskervilles“, der zeitlich allerdings noch vor dem vermeintlichen Ableben spielt. Im Folgejahr bezog Holmes dann wieder offiziell „Das leere Haus“ in der Baker Street. Seine Entschuldigung für die Zeit im Untergrund war so simpel wie wirksam: Mit der finanziellen Hilfe seines Bruders Mycroft schaffte es der Totgeglaubte, im Ausland Moriartys Verbrecherring zu sprengen, ohne dass diese einen Verdacht hegten. Ehe sich der Detektiv endgültig im Ruhestand der Bienenzucht widmete, folgten insgesamt drei weitere Kurzgeschichtensammlungen („Die Rückkehr des Sherlock Holmes“, „Seine Abschiedsvorstellung“ sowie „Sherlock Holmes’ Buch der Fälle“).

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