„Das beste Bild der Welt“ – ein Kommentar

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Bild: © lassedesignen - Fotolia.com
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Leipzig – Eine makellose Bildschärfe, unendlicher Kontrast, neutrale Farben und eine ausgereifte Bildverarbeitung, mehr braucht es nicht für den perfekten Fernseher. Der Weg dorthin wird vielleicht mit Technologien wie OLED beschritten worden sein, doch liest man aktuelle Testberichte von Edge-LED-LCD-Fernsehern, scheint manchem Hersteller bereits 2010 genau jenes Wunder geglückt zu sein.

Mit Unverständnis lese ich Fachartikel über „LED-TVs“ die mit einem „überragenden Kontrast“, „überragender Schärfe“ und natürlich „überragender Bildqualität“ daherkommen – zumindest in der Testtabelle. Im Text vermag es der Testredakteur keinesfalls, mir diese Quadratur des Kreises näher zu bringen, denn über die Bildqualität wird nur wenig ausgesagt. Dabei stellt die Edge-LED-Technik die derzeit schwächste Voraussetzung für ein „perfektes“ Bilderlebnis dar, was nicht bedeutet, dass Edge-LED-LCDs ein schlechtes Bild hervorbringen – ganz im Gegenteil.
 
Auch ich bin immer wieder überrascht, mit welchen Tricks es den Herstellern gelingt, aus flachen, Strom sparenden Displays ein vernünftiges Bild zu zaubern, aber sind sie deswegen die absolute Bildreferenz? Weshalb werden gravierende Unterschiede zwischen Direct-LEDs mit Local Dimming und Edge-LEDs von vielen Testredakteuren nicht als ebenso gravierend dargestellt? Weshalb ist ein LCD-Fernseher in allen Kriterien unbestritten besser als ein Plasmafernseher? Beim Blick auf die Testtabellen wird offensichtlich, dass die Vorgaben meist perfekt zu Edge-LEDs passen, Punkte wie „Maximalhelligkeit“ oder „Maximalkontrast“, die kaum Rückschlüsse auf die Bildqualität erlauben, bringen den erhofften Wertungssegen.
 
Und findet sich ein durchaus kritischer Wertungspunkt wie „Ausleuchtungsgenauigkeit“, so werden auch hier sämtliche kritischen Nachfragen mit „95 Prozent“ aus der Welt geräumt. Dass dunkle Bildbereiche fleckig wirken, verschweigt man trotz aller Messgenauigkeit lieber. Dabei ist das Offensichtliche meist deutlich komplexer als stichprobenartige Messwerte, die mit „Schwarz Min“ und „Spitzenweiß“ eine Wahrheit vortäuschen, die es verallgemeinert in der Praxis gar nicht gibt. Bereits ein Vergleich zwischen LCDs und Plasmas reicht aus, um unsere Wahrnehmung komplett zu täuschen. So erzeugt der Edge-LED-LCD natürlich das hellere, brillantere Bild und bietet den höheren Maximalkontrast. Doch wie ist es dann möglich, dass die Balken in 21:9-Filmen auf einem Plasma meist weniger störend ins Auge fallen, oder Hell-Dunkel-Elemente auf einem Plasma kontrastreicher und leuchtstärker erscheinen können als auf einem Edge-LED? Und weshalb reicht eine Blickwinkelabweichung von 10 Grad aus, um die Bildqualität manches Edge-LED-LCDs ins Bodenlose versinken zu lassen, obwohl er doch angeblich die Bildreferenz darstellt?
 
Was mich am derzeitigen Wettrennen um überragende Referenzlogos stört, ist die Abkehr vom technischen Einmaleins und dem Streben nach inhaltslosen Worthülsen, die aus jedem Nachteil einen technologischen Vorteil zaubern. Statt den Lesern am Ende die Wahl zu lassen und sämtliche Vor- und Nachteile auf den Punkt zu bringen, wird den Konsumenten sämtliches Entscheidungsrecht genommen und Ihnen stattdessen ein fester Glaube eingetrichtert: „Kaufe dieses Produkt, denn es gibt nichts Besseres“. Solange ein paar Messdiagramme daneben stehen, wirkt das Gesagte gleich doppelt wichtig. Und der Konsument? Der greift zum Produkt mit der besten Wertung und wird natürlich zufrieden seinen neuen Fernseher genießen, denn der perfekte Vergleich in den eigenen vier Wänden findet nicht statt – warum auch, er hat ja ein paar Euro in eine Testzeitschrift investiert. Vielleicht wird er immer mal wieder in Konkurrenzheften stöbern und nach und nach Berichte lesen, die das „überragende“ Testergebnis stark relativieren, doch warum im Nachhinein noch Trübsal blasen, wenn die richtige Entscheidung bereits vor dem Kauf von oberster Teststelle beglaubigt wurde?
 
Arbeitet man selbst im Testsegment und seziert Testberichte, so ist es offensichtlich, dass krasse Wertungsunterschiede, die lediglich wenige Anbieter im besseren Licht dastehen lassen, keine Meisterleistungen von Ingeneuren darstellen, sondern schlichtweg Fehler im Wertungssystem sind. Oder um es mit der Formel 1 zu vergleichen: Nur weil ein Red Bull schnell um die Kurven gleitet, gewinnt das Team noch lange nicht jedes Rennen, denn entscheidend für den Erfolg sind nicht zuletzt die Fahrer. Blickt man über unsere Grenzen, so findet man auch in Übersee geschulte Testredakteure, die im Gegensatz zu den hiesigen Kollegen meist zu einem völlig anderen Ergebnis kommen. Haben die etwa ihren Job nicht verstanden? Sehen Amerikaner anders als wir Deutsche?
 
Natürlich ist kein Testbericht der Welt perfekt und jedem Tester unterlaufen Fehler, doch was ist, wenn augenscheinliche Unzulänglichkeiten System haben? Vielleicht bin ich paranoid, vielleicht ist alles nur ein Zufall und der perfekte Fernseher existiert bereits heute. Vielleicht will ich es nur nicht wahrhaben – nicht auszudenken, wenn es ein Produkt gäbe, das zukünftige Tests unnötig und unsere komplette Redaktion arbeitslos machen würde. Vielleicht weigern wir uns aber nur, Ihnen Kaufentscheidungen auf dem Silbertablett zu servieren und Sie zu Fastfood-Konsumenten zu erziehen, die einfach das runterschlucken, was gedruckt auf einem Blatt Papier steht.
 
Ich bin gespannt, wie manche meiner Testkollegen ihren Lesern zukünftige Technologien überhaupt noch schmackhaft machen wollen, denn die kurzlebigen Superlative wurden in diesem Jahr schneller verzehrt, als jeder ebenso nahrhafte Big Mac.
 
Mit offenen Augen testet es sich immer noch am besten, herzlichst Ihr
 
Christian Trozinski
Chefredakteur HD+TV
 [fp]

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20 Kommentare im Forum

  1. AW: "Das beste Bild der Welt" - ein Kommentar Einfach Klasse dieser Kommentar ! ...und dieser Mut, nicht als "Nestbeschmutzer" dazustehen.
  2. AW: "Das beste Bild der Welt" - ein Kommentar Wow, daß ich das noch erleben darf... *feuchteAugen* Besser hätte ich es nicht ausdrücken können.
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