Werberat: „Eine Werbezensur vernichtet Arbeitsplätze“

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Bild: © Phongphan Supphakank - Fotolia.com
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Leipzig – Nachdem die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing, die Notwendigkeit einer Werbezensur beim Thema Alkohol-Werbung im TV verkündet hat, meldet sich nun der Deutsche Werberat zu Wort.

Im Interview mit DIGITAL FERNSEHEN erläutert Pressesprecher Volker Nickel die Stellung des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) (Deutscher Werberat) zum Thema und die Konsequenzen, die sich seiner Ansicht nach in Folge eines Werbeverbotes für alkoholische Getränke im TV ergeben würden.
 
DIGITAL FERNSEHEN: Herr Nickel, die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing (SPD), will die Alkoholwerbung im Fernsehen einschränken. Was sagen Sie als Sprecher des Deutschen Werberats zu dieser Forderung?

Volker Nickel: Wenn Sozial- und Gesundheitspolitik versagen, greifen politische Parteien und deren Amtsinhaber gern zu Werbeverboten. So auch Frau Bätzing, SPD. Erreichen werden sie damit nichts: Die Ursachen für Alkoholmissbrauch, so eindeutige wissenschaftliche Erkenntnisse, liegen ganz woanders – zum Beispiel in Lebensbedingungen wie Armut, Einsamkeit, Arbeitslosigkeit, Beziehungsstress, Problemen am Arbeitsplatz oder auch in Erbanlagen.
 
Vergleiche mit dem Ausland beweisen den fehlenden Zusammenhang von Werbung und konsumierter Menge alkoholhaltiger Getränke: Während in Deutschland der
Verbrauch generell und bei Jugendlichen ständig sinkt – seit 1990 um 19 Prozent -, steigt er bei Jugendlichen in Frankreich, obwohl dort seit 1991 ein TV-Werbeverbot besteht.
 
Der Aberglaube von der Voodoo-Wirkung der Werbung produziert dagegen viele Schäden: Werbezensur bedroht die Existenz der vielen mittelständischen Firmen, ist also ein Arbeitsplatz-Vernichtungsprogramm und Förderprojekt für Großunternehmen, entzieht den Medien Geld, schädigt damit die verfassungsrechtlich garantierte Rundfunkfreiheit und stuft den Bürger als willenlosen Menschen herab, dem man die Werbung wegnehmen muss, damit er sich obrigkeitsstaatlich korrekt verhält.
 
DIGITAL FERNSEHEN: Wird Frau Bätzing die Beschränkung durchsetzen können?
 
Volker Nickel: Wohl kaum. Es gibt auf Bundesebene und in den Ländern erkenntnisreiche Politiker, die wissen, wo die tatsächlichen Probleme beim Alkoholmissbrauch liegen. Die Bundesregierung hat sich kurz vor Jahresende bereits gegen Werbezensur festgelegt. Die Koalition in ihrem neuen ‚Medien- und Kommunikationsbericht 2008‘: „Die Bundesregierung lehnt weitere Werbebeschränkungen und -verbote auf nationaler und europäischer Ebene strikt ab und wird allen darauf gerichteten Bestrebungen entschieden entgegentreten.“ Die vorhandenen nationalen und europäischen Regelungen würden dem Verbraucher- und Gesundheitsschutz angemessen Rechnung tragen. „Ein weiterer Regulierungsbedarf besteht nicht.“
 
DIGITAL FERNSEHEN: Laut Bätzing führe Alkohol-Werbung im TV zu einem „früheren Trinkbeginn“. Inwiefern beeinflusst Ihrer Meinung nach die TV-Werbung das Verhalten von Jugendlichen?
 
Volker Nickel: Es ist nicht unsere Aufgabe, Schaden für die Glaubwürdigkeit von einer Politikerin abzuwenden. Unsere Arbeit gilt dem Kampf gegen Desinformation der deutschen Öffentlichkeit. Wer behauptet, TV-Werbung führe zu einem frühen Trinkbeginn bei Jugendlichen, führt entweder bewusst in die Irre oder vernachlässigt sträflich die Realität.
 
Tatsache ist: Werbung hat einen geringen Einfluss auf den Alkoholkonsum Jugendlicher – so unter anderem eine Studie des Bundesgesundheitsministeriums. Eine weitere Untersuchung unterstreicht dieses Wissen: Werbung komme keine kausale Auslösefunktion für den Einstieg in den Alkoholkonsum zu, so der Psychologie-Professor Dr. Bergler und Dr. Poppelreuther in ihrer Studie. Ebenso der Professor für Sozial- und Gesundheitswissenschaften an der Universität Bielefeld, Klaus Hurrelmann: Der Zeitpunkt der Pubertät verschiebe sich nach hinten. „Aus diesem Grund ist die Vorverlagerung des Einstiegs in den Alkoholkonsum ein normaler Vorgang“. Sorgen müsse man sich um solche Jugendlichen machen, die sehr ungünstige schulische, berufliche und wirtschaftliche Perspektiven haben und die mit dem Alltag nicht zurechtkommen und dann in großen Maßen Alkohol konsumieren“.
 
DIGITAL FERNSEHEN: Wenn Werbung somit keinen Einfluss auf unser Konsum- und Kaufverhalten hat, weshalb werden dann Millionen in jegliche Art
von Werbung investiert?
 
Volker Nickel: Ich überlasse die Antwort der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen. Die sagt in ihrem Jahrbuch 2003:“ Insbesondere in gesättigten Märkten, wie dem Markt für Alkoholgetränke, wird Werbung von den Produzenten als ein äußerst wichtiges Mittel im Kampf um Marktanteile gesehen“.
 
Und ich ergänze: Natürlich hat Werbung Einfluss auf die Entscheidung, welcher Marke sich ein Kunde zuwendet. Ob der aber einen Kasten Bier an einem einzigen Abend trinkt, oder über einen längeren Zeitraum verteilt, liegt nicht in der Einflußzone der Markt-Kommunikation, sondern in den Umständen des einezelnen Menschen begründet: Werbung reicht bis zur Ladentheke, aber nicht darüber hinaus, wie mit Produkten umgegangen wird.
 
DIGITAL FERNSEHEN: Wie würden Sie das Problem des steigenden Alkoholkonsums bei Jugendlichen angehen?
 
Volker Nickel: Der Alkoholkonsum Jugendlicher sinkt seit Jahren, so die Daten der Drogenaffinitätsstudie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Das entbindet die Wirtschaft nicht ihrer Mitverantwortung beim Kampf gegen Missbrauch ihrer Produkte. Und das geschieht umfangreich mit zahlreichen Präventionskampagnen bei Jugendlichen und ihren Eltern und mit generellen Informationsaktionen wie „Don’t Drink and Drive“, „Bier bewusst genießen“, „Klartext reden“ und Kampagnen zur Einhaltung von Jugendschutzvorschriften.
 
Hinzu kommen die generellen Verhaltensregeln des Deutschen Werberats, die solche Gestaltungselemente aus der Werbung fernhalten, die als Aufforderung zum Alkoholmissbrauch verstanden werden könnten.
 
Den Kampf gegen die Wirtschaft und ihren werbenden Markenwettbewerb sollte die Polititk ersetzen durch den Kampf gegen die teils schwerwiegenden Lebensprobleme der Gruppe der gefährdeten Jugendlichen.
 
DIGITAL FERNSEHEN: Könnten Sie sich damit anfreunden, dass TV-Werbung für harte Sachen (Schnaps etc.) wegfällt, für Bier aber z.B. weiter geworben werden darf?
 
Volker Nickel: Wenn Werbezensur nichts bewirkt, hilft auch die Diskriminierung einzelner Getränkegattungen nichts.
 
DIGITAL FERNSEHEN: Gibt es bereits eine Beschränkung für die Ausstrahlung von TV-Werbung mit alkoholischen Getränken?
 
Volker Nickel: Bisher gibt es keine gesetzlichen Vorschriften zeitbezogener Zensur. Aber aus den freiwillgen Verhaltensregeln des Werberats geht hervor, dass für Alkoholisches nicht in Medien geworben werde soll, die sich mehrheitlich an Kinder/Jugendliche wenden. Ich bin mit der Bundesregierung der Auffassung, dass mehr nicht erforderlich ist. Übrigens: Kinder schauen am wenigsten und immer weniger TV. Im vergangenen Jahr erreichte die tägliche Sehdauer einen Tiefstwert von 87 Minuten. Im Jahr 1996 waren es noch 101 Minuten.
 
DIGITAL FERNSEHEN: Herr Nickel, vielen Dank für das Gespräch. [mw]

Das Interview gibt die Meinung des Interviewpartners wieder. Diese muss nicht der Meinung des Verlages entsprechen. Für die Aussagen des Interviewpartners wird keine Haftung übernommen.

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4 Kommentare im Forum

  1. AW: Werberat: "Eine Werbezensur vernichtet Arbeitsplätze" Da würde ich als Auftraggeber denn mal sofort den Werbeetat zusammenstreichen.
  2. AW: Werberat: "Eine Werbezensur vernichtet Arbeitsplätze" Stimmt, selbst wenn man alles so lässt wie es ist, vernichtet das die Arbeitsplätze trotzdem.
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