IRT: „Hybrides Fernsehen ist für jeden, der fernsieht und Videos am PC abruft“

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Bild: © lassedesignen - Fotolia.com
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Leipzig – Ein Konsortium europäischer Unternehmen kündigte im August die Einführung von Hybrid Boradcast Broadband TV (HbbTV) an – DIGITAL FERNSEHEN erkundigte sich bei Klaus Merkel, Fachreferent beim Institut für Rundfunktechnik (IRT) über HbbTV.

„Im Kern geht es bei HbbTV darum, dem Zuschauer die vielfältigen programmbegleitenden Angebote, die bislang nur über den PC nutzbar waren, auch unmittelbar auf dem TV-Gerät zugänglich zu machen“, sagt Klaus Merkel.
 
DIGITAL FERNSEHEN: Wie werden Fernsehen und Internet zusammengebracht? Auf Basis welcher Technologie interagieren sie?

Klaus Merkel: Das Fernsehgerät beziehungsweise die Set-Top-Box enthält als wichtigste zusätzliche technische Komponente einen Browser. Dieser beruht auf den im Internet üblichen Standards HTML und Javascript und ermöglicht den Diensteanbietern daher die schnelle Übernahme von existierenden Internetinhalten.
 
Die Interaktion zwischen Browser und TV-Bild wird durch Ergänzungen der Browserfunktionen erlaubt, über die zum Beispiel das Einbinden des laufenden TV-Bildes in eine HTML-Seite oder auch die Programmumschaltung aus einer HTML-Applikation heraus möglich wird. Sowohl das genaue Browserprofil als auch die ganzen Funktionen zur Interaktion von Browser und TV-Programmen sind in einer technischen Spezifikation festgelegt. Diese wird noch im Oktober beim European Telecommunications Standards Institut (ETSI) zur Standardisierung eingereicht.
 
DF: Was wird sich mit HbbTV für die Zuschauer ändern?
 
Merkel: Zunächst kann der Zuschauer mit einem HbbTV-Gerät weiterhin fernsehen wie heute auch. Die Displays, Set-Top-Boxen und Fernbedienungen sehen aus wie gewohnt und lassen sich auch so bedienen. Durch einen Druck auf die rote Farbtaste der Fernbedienung lassen sich sogenannte „Applikationen“ aufrufen, also HTML-basierte Dienste, die über den eingebauten Browser dargestellt werden.
 
Mit einem einfachen Knopfdruck ist jederzeit die Rückkehr zum TV-Programm möglich. Während ein kleiner Teil der Applikationen über den Rundfunkkanal mitgesendet werden kann, ist für den größten Teil der Angebote erforderlich, dass das HbbTV-Gerät einen Zugang zum Internet hat. Falls der Zuschauer kein Kabel zu seinem Internet-Router legen kann oder will, ist über ein eingebautes oder externes WLAN-Modem oder über einen Powerline-Adapter Abhilfe möglich.
 
DF: Welche Vorteile ergeben sich für die Zuschauer?
 
Merkel: Die Zuschauer können zusätzlich zu den TV-Programmen eine ganze Reihe weiterer Dienste auf dem Display sehen, die bisher nur mit dem PC nutzbar waren. Sie müssen nicht zum PC gehen, brauchen sich nicht um irgendwelche URLs zu kümmern, sondern werden vielmehr intuitiv durch die Programmangebote geleitet.
 
Die Umsetzung dieser Dienste für die TV-Umgebung erfolgt so, dass eine einfache Nutzung über die Fernbedienung möglich ist. Dabei muss der Zuschauer nicht wissen, was ein Browser ist, er muss ihn nicht eigens starten oder URLs eingeben – das passiert alles im Hintergrund. Der Vorteil für den Zuschauer wird sehr deutlich, wenn dann zum Beispiel eine 45-minütige Dokumentation, die in der ZDF-Mediathek abrufbar ist, nicht mehr nur über den PC am Arbeitstisch, sondern bequem vom Sofa aus auf dem TV-Gerät gesehen werden kann.
 
DF: Auf welche Angebote kann der Zuschauer durch die neue Technologie zugreifen?
 
Merkel: Eine der wichtigsten Anwendung ist sicher die gerade geschilderte: die Darstellung von eigentlich für das Fernsehen produzierten Inhalten als Abrufdienst über das Internet auf dem TV-Display. Hier werden sowohl die öffentlich-rechtlichen wie auch die privaten TV-Anbieter entsprechende Dienste anbieten. Außerdem wird es unter anderem Weiterentwicklungen der Teletextangebote oder Zusatzangebote zu einzelnen Fernsehsendungen geben.
 
Das System wird ebenso auch von Anbietern genutzt, die keinen Rundfunkbezug haben, sondern heute nur über Internet und PC gehen, wie etwa Youtube. Weiterhin haben bereits auch Marken aus dem Printbereich wie Bild oder Welt begonnen, ihre Internetangebote auch für die Nutzung auf dem TV-Gerät anzupassen.
 
DF: Gibt es eine Zielgruppe die mit HbbTV angesprochen werden soll?
 
Merkel: Nein, es gibt keine spezifische Zielgruppe. Die Angebote werden sehr vielfältig sein. Für Jugendliche hat die ARD auf der IFA bereits eine Zusatzapplikation zu „Wir fahren nach Berlin“ vorgestellt und für die älteren Nutzer werden sich tatsächlich viele Inhalte erschließen, die bislang über den PC nicht oder nur mühsam nutzbar waren. Die Zielgruppe für HbbTV ist also jeder, der fernsieht und auch jeder, der heute auf dem PC Videos von Youtube oder aus Mediatheken abruft.
 
DF: Wann soll Hybrides Fernsehen eingeführt werden?
 
Merkel: Wir rechnen noch für dieses Jahr mit der Markteinführung von HbbTV-kompatiblen Endgeräten durch die Industrie.
 
DF: Mit welchen Equipment muss sich der Zuschauer ausrüsten um Hybrid-TV empfangen zu können?
 
Merkel: HbbTV-kompatible Geräte wird es sowohl in Form von Set-Top-Boxen als auch integriert in IDTVs (Fernseher mit integriertem Tuner für digitales Fernsehen) geben. Wer sich bereits ein neues HDTV-fähiges Flachdisplay angeschafft hat, wird also bei Interesse an einem Hybrid-Gerät eher auf eine Set-Top-Box zurückgreifen. Wo noch kein modernes Display vorhanden ist, kann auch ein IDTV infrage kommen, der auch den Browser bereits integriert hat.
 
DF: Wie sieht die Zusammenarbeit mit der Industrie aus?
 
Merkel: Der HbbTV-Standard wird gerade zur rechten Zeit verfügbar. Das Interesse der Unterhaltungselektronik-Industrie an hybriden Geräten ist sehr groß und HbbTV stellt eine Lösung dar, die von vielen Herstellern sehr begrüßt und unterstützt wird. Entsprechend offen und konstruktiv stellt sich die Zusammenarbeit mit der Industrie dar.
 
Neben der Unterhaltungselektronik-Industrie engagieren sich auch Netzbetreiber und Infrastrukturhersteller. Bemerkenswert ist, dass sich immer mehr global aufgestellte Unternehmen beteiligen. Dies dürfte die Markteinführung positiv beeinflußen. Das IRT steht mit vielen Firmen in Kontakt und begleitet die verschiedenen Produktentwicklungen durch Beratung und Tests.
 
DF: Wie reagieren die Programmveranstalter darauf?
 
Merkel: Sowohl bei ARD und ZDF als auch bei den privaten Veranstaltern sind bereits eine ganze Reihe von Angeboten im Testbetrieb. Ab der Verfügbarkeit einer gewissen Zahl von Geräten in den Haushalten werden viele weitere Angebote dazukommen. Für die Programmveranstalter stellt das TV-Gerät natürlich den wichtigsten Zugang zu den Teilnehmern dar. Außerdem bietet HbbTV viele Möglichkeiten, um eigene Dienste aufzuwerten und für den Nutzer einfach auffindbar zu gestalten. Für die kommerziellen Anbieter schließt das auch verbesserte Werbe- und Shopping-Optionen ein.
 
DF: Herr Merkel, vielen Dank für das Gespräch. [mth]

Das Interview gibt die Meinung des Interviewpartners wieder. Diese muss nicht der Meinung des Verlages entsprechen. Für die Aussagen des Interviewpartners wird keine Haftung übernommen.

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