„Die Chemie des Todes“ bei Paramount+: Leichenstarre in Serienform

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David Hunter in
Foto: Cuba Pictures/ Paramount+

Mit „Die Chemie des Todes“ zeigt Paramount+ die Verfilmung der Bestseller von Simon Beckett. Von der literarischen Vorlage ist allerdings nur noch ein blutleeres Gerüst geblieben.

Was geht uns diese Spürnase eigentlich an? Mit dem Forensiker David Hunter hat der britische Bestseller-Autor Simon Beckett seine eigene Heldenfigur geschaffen. Hunter ist bei ihm der Inbegriff des traumatisierten Ermittlers. Frau und Tochter hat er verloren, innere Dämonen durchkreuzen immer wieder die Aufklärungsarbeiten, die er in verschiedensten Winkeln zu leisten hat. Leichen tauchen auf: zerstückelt, zersetzt, verwest, verbrannt, entsorgt, inszeniert. Das Böse gibt keine Ruhe. Beckett gelang mit den morbiden Kriminalgeschichten ein großer internationaler Erfolg, allein seine David-Hunter-Reihe umfasst inzwischen sechs Romane und eine Kurzgeschichte. Jetzt also deren erste filmische Adaption als Streaming-Serie.

Harry Treadaway („Star Trek: Picard”) leiht dem Protagonisten sein Gesicht. Aufgeknöpftes Hemd, durchschimmerndes Brusthaar, jugendliches Aussehen, die Frisur sitzt: Dieser David Hunter ist ein Shootingstar. Mit ausgestellter, begehrenswerter Attraktivität der Leichenfäulnis begegnen – dieser Trick wird nur allzu gern in zahllosen Krimis und Thrillern benutzt. Auch in den finstersten Abgründen lässt sich so immer noch ein letzter Rest umgarnender Schönheit als Ankerpunkt entdecken, der das Hässliche erträglicher und bloß nicht zu abschreckend erscheinen lässt.

Simon Hunter in einer Hütte
„Die Chemie des Todes“ ab Januar bei Paramount+ Foto: Cuba Pictures/ Paramount+

„Die Chemie des Todes“ und sein gebrochener Ermittler

Drei Folgen von „Die Chemie des Todes“ wurden der Presse vor Start zur Verfügung gestellt. Treadaway hat in ihnen als Schauspieler eigentlich recht wenig zu tun. Hin und wieder hockt er an Tatorten, um über Spuren zu grübeln. Eine kurze Liebschaft bleibt nebensächlich, den Rest der Zeit starren seine Augen mit innerer Leere, murmelt er gemeinsam mit anderen Figuren lethargisch ein paar uninteressante Informationen in die Welt. Nicht nur sein Protagonist, Nein, das ganze Charakterdrama steht neben sich, welches die britische Serienproduktion aus Becketts Romanen herausgeschält hat.

Der Tod von Frau und Kind ist immer wieder als Splitter einer schmerzenden Biographie in die Handlung montiert. David Hunters Schicksal – es passt in eine hauntologische Kulturindustrie, die von der Heimsuchung durch das Vergangene besessen ist. Als Hunter die unheilvoll drapierte Leiche sezieren soll, die zwei Jungen zu Beginn der Serie im Unterholz finden, liegt plötzlich seine verstorbene Frau vor ihm auf dem Tisch. Seine Tochter steht als gespenstische Erscheinung beim Essen neben der Tafel. Später spukt sie im roten Mäntelchen durch die Gegend, als hätte man sie dem Klassiker „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ entnommen.

David Hunters Tochter in "Die Chemie des Todes"
Foto: Cuba Pictures/ Paramount+

Trauma-Bewältigung am Seziertisch

Was „Die Chemie des Todes“ damit erzählt, ist bislang allein das Therapieren für eine Rückkehr in den routinierten Alltag. Das meint in dieser Welt: eine Rückkehr zur gesellschaftlichen Nützlichkeit und Verwertbarkeit. Kriminalfälle gilt es zu lösen! Untätige Trauer, das ist ein Stadium, das überwunden werden will. Arbeit oder private Befindlichkeit, da scheint es für diese Serie wenig dazwischen zu geben. Die Facetten der eigenen Individualität taugen erzählerisch höchstens noch als Fesseln des gebrauchten und verbrauchten Genies.

Sensibel, einfühlsam oder gar anregend für eine Auseinandersetzung ist an beschriebenem Trauma-Plot wenig. Suggeriert wird damit höchstens psychologische Tiefe, wo nur müde Klischees aus dem „Tatort“-Setzkasten zusammengeflickt werden. Und so zieht es David Hunter nach spätestens einer Serienfolge wieder in den weißen Overall und die Latexhandschuhe, um Tote mit Engelsflügen, verweste Moorleichen oder ein verbranntes Gerippe in den Highlands zu untersuchen.

Foto: Cuba Pictures/ Paramount+

Zwei Romane in einer Staffel: „Die Chemie des Todes“ und „Kalte Asche“

Greifen kann man diese Fälle kaum, spannend sind sie in ihrem verwehrten Rätselraten ebenso wenig. Der grobe Rahmen der „Chemie des Todes“ von Simon Beckett ist nach reichlich zwei Episoden auserzählt. Folge 3 wagt daraufhin einen Ortswechsel und setzt quasi mit der literarischen Fortsetzung „Kalte Asche“ ein. Drei weitere Episoden werden in den kommenden Wochen folgen. Nun könnte man loben, dass die Verantwortlichen so effizient durch die Handlung der Vorlagen preschen, sie nicht unnötig zerdehnen, um unbedingt ganze Staffeln mit ihnen zu füllen.

Doch ein umso größeres Fragezeichen stellt sich ein: Wozu das alles überhaupt, abseits der Tatsache, dass Beckett-Fans nun auch noch mit TV-Bildern zum Vertrauten gefüttert werden und erneut Geld damit verdient werden kann? „Die Chemie des Todes“ muss sich nicht zwingend an den Romanen messen lassen. Und doch ernüchtert, wie oberflächlich die Serie mit den wenigen interessanten Aspekten der Vorlage verfährt.

Simon Becketts „Die Chemie des Todes“ war mitnichten ein überragender Text, aber zumindest einer, der versucht hat, über seine Schauplätze und Wege, die Figuren zurücklegen, eine gewisse Atmosphäre aufzubauen, unheilvolle Räume zu kreieren. Das war eine Außenseitergeschichte, die von geschlossenen Gemeinschaften und deren Reaktion auf den Einbruch des Fremden erzählte. In der Serie wird mit diesem Unterbau kaum etwas angestellt, schon gar nicht formal. Er ist noch in einigen wenigen Dialogzeilen erkennbar, bleibt aber ein roher Entwurf.

Leiche in "Die Chemie des Todes"
Foto: Cuba Pictures/ Paramount+

Weniger morbide als die Vorlage

Auch der klinische, mit Faktenwissen angereicherte Horror, mit dem Beckett gerne das Sterben und Obduzieren schildert, ist in den drei vorab gezeigten Serienepisoden nur rudimentär zu finden. Einzelne Beschreibungen, darunter der markante Romananfang aus „Die Chemie des Todes“, werden per Off-Stimme wie ein Mantra wiederholt. Sie klingen jedoch allein wie lose Überreste eines fremden Stoffes, an dem diese äußerst träge erzählte, audiovisuell wenig einfallsreiche Serienadaption zu scheitern droht.

Stattdessen blickt hier die Kamera immer wieder von oben auf dichte, mysteriöse Wälder oder das Meer als dunkle Haut, die von einem Schiff wie mit dem Skalpell zerschnitten wird. Aber was soll dort eigentlich lauern, wenn man erst einmal in die Wunden und Öffnungen hineinfährt? „Die Chemie des Todes“ gibt sich in seinem starren Kreislauf aus Trauern, Spurensichern und Sezieren sowie der ungelenken Verwebung der beiden Kriminalfälle ja nicht einmal Mühe, irgendwelche darunterliegenden Organe und Gewebe erkennen zu wollen.

Immerhin: Der zweite Akt, den die erwähnte dritte Episode eröffnet, verspricht mit seinem düsteren Schauplatz eine dichtere Schauerstimmung als der Auftakt der neuen Paramount+ Serie. Es wäre ohnehin der einzige Reiz, den man sich von diesem blassen Format bis dato noch erhoffen könnte: der flüchtige Grusel und Schrecken, mit dem die uninspiriert konstruierten Mordszenarien das Andere der Zivilisation in tristen Naturaufnahmen, Madengewimmel und dräuenden Klängen auf den Bildschirm zu bannen versuchen.

„Die Chemie des Todes“ ist seit dem 12. Januar 2023 bei Paramount+ zu sehen. Wöchentlich erscheint eine neue Folge.

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4 Kommentare im Forum

  1. "Wöchentlich erscheint eine neue Folge." Kann man also in 5 Wochen mit anfangen (bei 6 Folgen). Ach ja, die guten Vorzüge des Streamings. Konnte ich in den 90ern auch schon, nannte sich VCR
  2. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass du die Serie in den 90ern gar nicht zu sehen bekommen hättest, oder erst Monate, wenn nicht gar Jahre später. Damals haben es nur ein Bruchteil der US Serien überhaupt ins deutsche TV geschaft und praktisch nur ins Privat-TV mit Werbeunterbrechung. Bei Premiere World gab es praktisch überhaupt keine Serien die wirklich neu waren. Alles nur Wiederholungen der Free-TV Sender von Kirch Pro7 und Sat.1. Von dem Qualitätsverlust bei Aufnahmen im Vergleich zur Live-Ausstahlung im TV von VHS Kassetten wo gute Leerkassetten auch locker 10 DM gekostet haben, was damals verdammt viel Geld war, wollen wir gar nicht erst sprechen.
  3. @Eifelquelle Da hast du natürlich Recht. Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, dass ich die langgezogenen Releases nicht begrüße. Du bekommst Lust auf einen Inhalt, siehst dann, dass erst eine Folge draußen ist. Also brauchst du gar nicht erst anfangen. Wenn ich keine Interessenverwaltung betreibe, hab ich es in 5 Wochen schon wieder vergessen. Wahrscheinlich ist die Strategie für Anbieter viel besser. Dagegen spricht der Gusto der Kunden. Da letzterer König ist, wäre ein Mittelweg denkbar. 3 Folgen sofort, 3 weitere in 2 Wochen (oder so ähnlich).
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