„Vatersland“ heute bei Arte: Fesselnde Zeitreise

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Marie taucht in
Bild: Coin Film / Tom Trambow

Eine Filmemacherin erhält eine Kiste ihres toten Vaters voller Fotos und Super-8-Filme. Mit Schmerz und Widerwillen erinnert sie sich an den frühen Verlust ihrer Mutter und ihr Erwachsenwerden im NRW der 60er Jahre. Eine gelungene Autobiografie mit starken Nachwuchsstars.

Leise prasselt die kalte Kölner Erde auf den Sarg im tiefen Schacht. Marie ist zehn Jahre alt, als ihre Mutter stirbt. Nun steht sie im blauen Mäntelchen buchstäblich am Abgrund. Im Sarg die gestorbene Mutter, mit 48 vom Krebs weggerafft. Links und rechts nur Männer, die für Gefühle keine Worte finden. Ihre ausgestreckte kleine Hand findet nicht die Hand des Vaters. Der ist vom Schmerz betäubt und versucht die dreiköpfige Rest-Familie mit Weisheiten aus seiner Wehrmachtszeit durch die anbrechenden 1960er Jahre zu bringen.

Das autobiografische Drama „Vatersland“ erzählt, wie ein Mädchen umringt von großer emotionaler Kälte seinen Platz im Leben sucht. Es ist die eigene Geschichte Petra Seegers, die das Drehbuch schrieb, die Regie führte und auch auf vielen hineinmontierten alten Bildern und Filmen zu sehen ist. Wer die Bestseller der Französin Annie Ernaux schätzt, wird den Film sehr mögen. Er läuft heute (13.9.) um 20.15 Uhr auf Arte.

Fiktion und Familienarchiv

Das große Pfund dieser Selbstinszenierung im besten Sinne sind die starken Darstellerinnen. „Tatort“-Star Margarita Broich glänzt in der Doppelrolle als erwachsene Marie des 21. Jahrhunderts und als ihre Mutter in der Wirtschaftswunderzeit, die in Rückblenden mit Bildern der echten Mutter vom Familienarchiv gegengeschnitten wird. Felizia Trube („Der Lehrer“), Momo Beier („Am Ende der Worte“) und Stella Holzapfel („Marie Brand“) verkörpern die Heldin in verschiedenen Altersphasen. Der Film beschönigt seine wichtigste Figur dabei nicht. Marie wünscht ihrer Mutter zeitweise den Tod, wenn sie sauer ist.

In der Rahmenhandlung ist die erwachsene Marie so alt wie ihre Mutter zum Zeitpunkt des Todes. Sie steckt in tiefen Krisen – beruflich, emotional und in ihrer Beziehung. Als eine Truhe mit unzähligen alten Fotos und Filmen ihres inzwischen auch gestorbenen Vaters eintrifft, rollt sie die Jahre des Umbruchs auf. Der Vater war Werksfotograf in einem Kölner Unternehmen. Am Wochenende nahm er mit seinem Equipment die Familie auf. Die Lieben hatten zu lächeln, egal wie es ihnen ging. Die Kamera sei immer zwischen ihnen gestanden, erinnert sich die Erwachsene. Bald versucht der Vater, den älteren Sohn für den Fotografenberuf zu begeistern. Wann immer hingegen Marie nach der Kamera greift, schnauzt er sie an: „Mädchen gehören VOR die Kamera.“

Es ist ein gelungener Film, der eine sehr dichte Atmosphäre schafft. Das liegt zum Einen an der Überlagerung von Fiktion und Realität durch das reichhaltige Archivmaterial. Das Drama lebt aber auch sehr stark von der liebevollen Darstellung des Rheinlands in den 60er Jahren – irgendwo zwischen Klosterschulenmuff und Aufbruchstimmung. Auf dem Festival des deutschen Films in Ludwigshafen erhielt „Vatersland“ im Jahr 2021 den Rheingold-Publikumspreis.

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