Blutige Zuckerwatte: „Oktoberfest 1900“ will, aber kann nicht so recht

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© BR/ARD Degeto/MDR/WDR/Zeitsprung Pictures GmbH/Dusan Martincek

Nach dem Serienfinale der historisch angehauchten Pompös-Produktion im Ersten bleiben die Meinungen gespalten – und das mit Recht. Schließlich offenbart die blutige Rachegeschichte um das Münchner Oktoberfest symptomatische Schwächen deutscher TV-Produktionen, liefert andererseits aber auch hoffnungsvolle Ausblicke.

Ein Junge muss auf dem Münchner Oktoberfestgelände der Ermordung seines Vaters hilflos beiwohnen. Seine Zuckerwatte fällt in den Schlick, der sich aus Regen, Blut und Erde auf der Festwiese zu bilden beginnt. Diese traumatischen Erinnerungen kehren in der Event-Serie „Oktoberfest 1900“ immer wieder – und bilden den erzählerischen Rahmen für die Geschichte des von Ehrgeiz und Rachsucht zerfressenen Brauereibesitzers Curt Prank, der schon bei seinem ersten Auftritt klar macht: In dieser Geschichte gibt es keinen echten Helden. Mehr Anti-Helden in Italowestern-Manier: Verschlagen, unberechenbar und getrieben.

So verschwendet die aus nur sechs Folgen bestehende Serie keine Zeit und lässt ihren zwielichtigen Protagonisten bereits ab der ersten Minute zu rücksichtslosesten Methoden greifen: Durch eiskalt eingefädelte Erpressung bringt Prank zunächst einen Lokalpolitiker noch verhältnismäßig sanft in seine Gewalt – wenig später muss jedoch bereits auf theatralischste Art und Weise gemordet werden. Schließlich hat der Brauereiunternehmer eine wahnsinnige Agenda zu erfüllen und nicht all zu viel Bildschirmzeit dafür zur Verfügung. Überhastet wirkt dementsprechend die Figurenentwicklung des Drehbuchs, das sich auch für pathetisch-peinliche Dialogzeilen („Wir sind gar nicht so verschieden“) aus der Mottenkiste der James Bond-Parodien nicht zu schade ist.

„Babylon Berlin“ hat eigentlich bereits klar gemacht, dass auch deutsche Serienproduktionen ihre Figuren nicht unbedingt mit grenzwertig aufgesetzt klingenden Schwafeleien unglaubwürdig machen müssen. „Oktoberfest 1900“ verbucht dahingehend ganz klar einen Rückschritt zum alten Status Quo – schade eigentlich. Denn wo das Spiel mit der rotzfrechen Berliner Schnauze in „Babylon Berlin“ funktioniert, wäre auch in dem Oktoberfest-Drama sicher mehr Raum für konsequentere dialektgefärbte Verschrobenheit gewesen.

Doch es gibt durchaus auch lobenswerte Aspekte, die über die teils hanebüchene Handlungsentwicklung zumindest so weit hinwegtrösten, dass man relativ sicher über die volle Dauer der Serie kommt, ohne sich vor Fremdscham selbst zu vergessen: Handwerklich ist die Eventserie ein weiterer Schritt in eine vielversprechende Richtung; die Öffentlich-Rechtlichen zeigen hier nämlich, dass sie bereit sind, mehr große TV-Unterhaltung produzieren zu lassen. Leider sind sie nur in der Umsetzung noch nicht ganz so sattelfest. Die opulente Bildgewalt der Serie, tolle Kostüme und der Wille, deutlich abgründiger zu werden und somit zum internationalen Serienmarkt aufzuschließen, sind durchaus als verheißungsvoll einzustufen und auch atmosphärisch wird einiges erreicht. Somit ist „Oktoberfest 1900“ sicherlich eine Empfehlung wert – auch wenn man es definitiv noch als Lehrstück begreifen muss. Ein Achtungserfolg ist es in mancherlei Hinsicht bestimmt, es fehlt neben einigen anderen Zutaten zu einer wirklich gelungenen Produktion aber erkennbar an der Routine beim Abschmecken. So ist am Ende die Serie ihrem gnadenlos überreizten Zuckerwatte-Bild recht ähnlich: Schon ganz süß, aber vor allem ist noch viel Luft drin – im Fall öffentlich-rechtlich finanzierter TV-Unterhaltung definitiv nach oben.

Bildquelle:

  • oktoberfest: ARD Presseportal

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