„Ferrari“: Michael Mann gelingt eine grandiose Motorsport-Saga

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Adam Driver in einem grauen Anzug als Enzo Ferrari
Foto: Eros Hoagland/ Venice International Film Festival

Adam Driver verkörpert die Motorsport-Legende Enzo Ferrari in einer düsteren Phase seines Lebens. Regisseur Michael Mann („Heat“) strickt daraus einen der stärksten Filme des Jahres.

Wann immer konservative und reaktionäre Politiker an das sogenannte Leistungsprinzip und die Bedeutung eines gesellschaftlichen Wettkampfgedankens erinnern wollen, wird man ihnen in Zukunft diesen Film zeigen können, um sie eines Besseren zu belehren. Michael Mann, inzwischen 80 Jahre alt, meldet sich noch einmal mit einem fulminanten Spätwerk zurück, das seinen Ruf als großen Hollywood-Meister festigt.

„Ferrari“ fängt Momente einer Biographie im Italien der 50er-Jahre ein, die auf beunruhigende Weise neoliberale Ellenbogenmentalität und das kapitalistische Wettkämpfen der Gegenwart spiegeln und ergründen. Michael Mann hat sich bereits in seinem wohl berühmtesten Werk „Heat“ als talentierter Gesellschafts- und Kapitalismuskritiker erwiesen. Männerdramen sind dabei sein Fach, die zugleich den Fokus auf große systemische Verflechtungen legen wollen.

Dunkle Stunden im Hause Ferrari

„Ferrari“ ist nun wieder ein solches Männerdrama geworden: Adam Driver spielt schicksalhafte Stunden im Leben des Enzo Ferrari, der im Jahr 1957 darum ringt, sein Imperium zusammenzuhalten. Dem Familienunternehmen droht der finanzielle Ruin und auch hinter verschlossenen Türen liegt das Privatleben im Argen. Enzos Frau Laura (Penélope Cruz) weiß um die Affären ihres Mannes, welcher ausgerechnet im Angesicht des Todes ihres gemeinsamen Kindes Dino einen weiteren Sohn mit einer fremden Frau (Shailene Woodley) gezeugt hat.

Inzwischen macht ihn Laura für den Tod von Dino verantwortlich, nachdem der weltberühmte Ferrari-Gründer noch öffentlichkeitswirksam versprochen hatte, den Erkrankten heilen zu lassen. So eifrig man bemüht ist, den Namen des Toten zu bewahren, Institutionen nach ihm zu benennen, so wenig wird man ihn damit je wieder zum Leben erwecken zu können. Während sich die Schlinge um den kriselnden Ferrari-Clan also fortwährend zusammenzieht, ist Enzo fest entschlossen, wieder einen großen Sieg für die Marke einzufahren. Nur, auf wessen Kosten und zu welchem Preis?

Penélope Cruz als Laura Ferrari
Penélope Cruz spielt die betrogene Frau von Enzo Ferrari. Foto: Lorenzo Sisti/ Venice International Film Festival

Adam Driver und Penélope Cruz spielen furios

Die 130 Minuten Laufzeit von „Ferrari“ sind vollgepackt mit eindringlichen Momenten. Es ist ein sensationell guter Film! Michael Mann lässt eine ungeheure Eleganz im Führen seiner Schauspieler erkennen und spornt gerade Adam Driver und Penélope Cruz zu Höchstleistungen an. Beide gehen sich in regelrechten Psycho-Duellen gegenseitig an den Kragen, ohne dass es dafür allzu großer Exzentrik oder übertriebener Gesten bedarf. Und das will etwas heißen, nachdem das Publikum die Beziehung des Paares über einen wütenden Pistolenschuss kennenlernt!

Es gibt daneben gleich zwei, drei grandiose Parallelmontagen in „Ferrari“. Eine sakrale Messe in der Kirche wird etwa mit dem bedrohlich dröhnenden Motorenlärm eines Testrennens gegengeschnitten. Man arbeitet daran, sich einen Rekord zu sichern. Heilig ist Ferrari in erster Linie das, was auf dem Asphalt geschieht und letztlich Gewinn einbringt. Gerade die Rennszenen sind mit unmittelbarer Wucht inszeniert, mit dynamischen Kamerafahrten eingefangen. Die Geräusche der Fahrzeuge brettern mit physischer Intensität über die Körper der Zuschauer hinweg. Und dann: die Katastrophen, die einen ganz plötzlich und eiskalt erwischen, obwohl die Stimmung ohnehin schon zum Zerreißen angespannt ist.

Rennszene in "Ferrari"
Die Rennszenen in „Ferrari“ sind hochspannend inszeniert. Foto: Eros Hoagland/ Venice International Film Festival

„Ferrari“ zerlegt die Wettkampf-Mentalität im Kapitalismus

Spiel, Agon, das Messen von Kräften, der Wettkampf und das kapitalistische Wirtschaften gehen Hand in Hand. Michael Mann lässt sie auf augenöffnende Weise miteinander verschmelzen und zeigt, auf welch zerstörerische Weise der Drang zur Konkurrenz unser Miteinander von Kindesbeinen an vergiftet. Der Druck, die eigene Marke, das Image zu bewahren, immer weiter zu expandieren und die Ellbogen gegenüber der Konkurrenz auszufahren, nimmt das gesamte Leben, nimmt die gesamte Persönlichkeit in Beschlag.

Im Privaten gerät Enzo mit seiner Lebens- und Geschäftspartnerin aneinander. Liebe als berufliche Abhängigkeit regelt man mit Schecks, Verträgen, verteilten Aufgaben, während riesige Summen Geld hin- und hergeschoben, Spekulationen vorgenommen, Deals geplant werden. Derweil gibt man sich alle Mühe, für die passende Publicity zu sorgen, gegen Skandalgeschichten in der Presse anzukämpfen. Zugleich: Was wäre das Leben, was wäre die eigene Persona nur ohne sie?

Fassadenpflege, externe und interne Geschäfte wollen mühsam organisiert werden. Hier erlebt man den emotionalen Zusammenbruch, dort wird er anderen vermittelt. Am unteren Ende der Nahrungskette des Motorsports stehen derweil die Rennfahrer. Sie setzen ihr ganzes Leben aufs Spiel, um jene Marken am Leben zu halten und etwas Ruhm zu genießen. Kitzelnden Adrenalinrausch und höchste Gefahr wissen die bereits erwähnten Wettrennen in ihrer Gleichzeitigkeit jedenfalls bestens zu vermitteln. Wie Wegwerfware behandelt man die Fahrer: Ist der eine verunglückt, sucht man eine Ausrede für die breite Masse und dann wird die Nachfolge eingestellt. Der nächste Todesmutige kommt gewiss und steht schon in den Startlöchern!

Gabriel Leone in "Ferrari"
Die Rennfahrer setzen für Ferrari ihr Leben aufs Spiel. Foto: Lorenzo Sisti/ Venice International Film Festival

Saturn frisst seine Kinder

Enzo Ferrari wird folgerichtig schon mit dem mythologischen Saturn verglichen, der seine Kinder frisst. Der Kapitalist verschlingt seine Arbeiter. Michael Mann fächert diese unterschiedlichen Sphären und Perspektiven faszinierend auf, lässt sie packend ineinanderfließen, um den Blick auf die Ordnung der Dinge freizulegen und auf einen unausweichlichen Crash zuzusteuern. Wer bremst, der verliert. Im italienischen Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit will man steil nach oben. Man will sich an der Spitze des erlangten Wohlstands halten, auch wenn das bedeutet, sein privates und geschäftliches Umfeld nach allen Regeln der Kunst zu betrügen und dem großen Risiko zum Fraß vorzuwerfen. Kollateralschäden muss man da verkraften und so führt Michael Mann gleich eine ganze Menschenschar mit verstörender Kaltschnäuzigkeit in der Inszenierung zur Schlachtbank.

Es ist eine Meisterleistung, wie ambivalent Mann seine Charaktere zu zeichnen weiß, wie spannend und konzentriert er das Verlorensein in diesem allumfassenden Drang zum Tempo erzählt. Subtil gewitzt rechnet man hier mit dem groß aufgezogenen Drama eines ganzen Imperiums ab – frei nach den wahren Begebenheiten. Schließlich kann es nur so kommen: Als Enzo Ferrari irgendwann seinen vorgesehenen Erben in den Ruhm und die verklärte Geschichte der Familie einführen will, bleibt ihm nur, der Toten zu gedenken.

„Ferrari“ feierte seine Weltpremiere im Rahmen der 80. Internationalen Filmfestspiele von Venedig. Der deutsche Kinostarttermin ist aktuell noch nicht bekannt. Den englischen Trailer kann man hier sehen:

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