Ende einer Liebe: Colin Firth und Stanley Tucci brillieren in „Supernova“

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Eine Demenzerkrankung lässt 20 Jahre unsterblicher Liebe auseinanderfallen. „Supernova“ mit Stanley Tucci und Colin Firth berührt ab dieser Woche in den deutschen Kinos.  

Wo eine Karriere, ein Liebesleben und eine ganze Biographie ins Chaos stürzen und Überforderung den gewohnten Alltag überschafftet, steht in Harry Macqueens Film plötzlich alles ganz still. „Supernova“ reduziert sich in seinen anderthalb Stunden auf einen kurzen Ausschnitt, ein Schlaglicht. Auf eine kurze Zeitspanne, in der vermeintlich noch alles möglich scheint und zugleich bereits vor dem Abgrund steht.

Sam und Tusker sind seit zwei Dekaden ein Paar, jetzt steht das Leben des erfolgreichen Schriftsteller und des Pianisten am Scheideweg. Tusker leidet an einer frühzeitigen Demenz. In einem Wohnmobil begeben sich die beiden Männer noch einmal auf eine Reise, um letzte glückliche Momente zu erleben. Aber wie danach weitermachen? Die Karriere aufgeben, um den Erkrankten zu pflegen? Sich ausliefern und anderen zur Last fallen? Oder das Leben vorzeitig beenden, solange man noch bei Verstand ist?

Eindrucksvolle Seelenlandschaften

Allerhand vertraute Narrative, die Harry Macqueen da in seinem Drama zur Sprache bringt. Man verzeiht ihm dieses Zurückgreifen auf Altbekanntes allerdings gerne, wenn das Resultat so eindringlich gelingt. Das Kino hat in der jüngeren Vergangenheit verschiedene Wege gesucht, von Demenz zu erzählen. Als nostalgisches Schwelgen in Sally Potters „The Roads Not Taken“, als Spukhausgeschichte in „Relic“ oder jüngst als subjektiv wahrgenommenes Kammerspiel in „The Father“ mit Anthony Hopkins. „Supernova“ weiß, dass es da kaum noch etwas zu holen gibt, das nicht schon unzählige Male gezeigt und durchexerziert worden ist. Er übt sich stattdessen in Subtilität, im Skizzenhaften.

Da sind zwei Männer ganz mit sich allein. In absoluter Stille, im Nirgendwo. Nichts, wohin man sich zurückziehen könnte. Stattdessen eine unausweichliche Konfrontation mit dem eigenen Schicksal. Nur ab und zu brechen Naturbilder in die Handlung. Nebelverhangene Felder, ein rötlich schimmernder Himmel. Macqueen zeichnet das als Seelenlandschaften, der Stimmungs- und Symbolraum, den „Supernova“ so intensiv einrichtet, erstarrt immer wieder zum Gemälde. Eine Häuserfassade in den Hügeln schimmert im Mondschein, dahinter verschwimmt bereits alles im Dunkeln.

Das Schmucklose, radikal Minimalistische solcher Aufnahmen entwickelt in „Supernova“ eine enorme Kraft. Macqueens Drama findet mit ihnen einen passenden Ausdruck für das Liminale, Zwischenweltliche seiner Beziehungskrise, die er ausbreitet. Die Hinwendung zum Astronomischen, das der Titel bereits andeutet, erscheint zugleich als sehnsuchtsvolles, eskapistisches Suchen nach einem Ausweg als auch ein bewusstes In-Distanz-Treten, das der Film in seinen zurückhaltenden Beobachtungen vornimmt.

Meisterhaftes Schauspiel von Firth und Tucci

Vor allem umgeht er das Pathetische. Markante Dialoge und Konfrontationen rühren in ihrer Beiläufigkeit. „Supernova“ vertraut dabei auf das Spiel seiner beiden Hauptdarsteller. Colin Firth und Stanley Tucci zeigen zwei der differenziertesten, stärksten schauspielerischen Leistungen, die man in diesem Jahr auf der Leinwand sehen kann. Weil „Supernova“ kein geschwätziger Film ist. Es gibt hier keine tränenreichen One-Take-Monologe und Gefühlsausbrüche wie etwa jüngst in „The Father“, sondern vor allem ein inneres Ringen um Würde und Autonomie, mit großer Zärtlichkeit verkörpert.

Das ist brillant gelungen, wie die beiden eine ungeheure Zuneigung und Anziehungskraft spielen, während ihre Figuren eigentlich immer weiter auseinanderdriften. Bereits ab den ersten Szenen liegt eine unbequeme Distanz zwischen den beiden in der Luft. Heimelige Zweisamkeit weicht Pragmatismus und Organisation. Erotik weicht angsterfüllter Andacht. Eine Liebe findet ihr tragisches Ende und ringt um Überdauerung. Da kämpfen zwei darum, sich dem Unaussprechlichen nicht stellen zu müssen, während sie unaufhaltsam darauf zusteuern.

Mehr als ein bloßer Krankheitsbericht

Man ist schnell dabei, diesen Film zu unterschätzen. Hinterher wundert man sich dennoch, wie galant es Harry Macqueen gelungen ist, die Schlinge immer enger zu ziehen. „Supernova“ ist ein ungeheuer anrührender, aber kein rührseliger Film. Er verweigert sich der Schreckensbilder einer Krankheit, aber zugleich auch einer Katharsis oder Erlösung. Überhaupt ist das eigentlich gar kein Film über Demenz, sondern vielmehr einer über das Vergehen einer Beziehung, dem die Betroffenen kaum etwas entgegensetzen können. Und vor allem einer über die Brüchigkeit bürgerlicher Existenz, die auf einmal die Fragen nach Sinn, Wert und Existenz neu stellen muss.

„Supernova“ kann damit die Objektivität seines erstaunlich nüchternen Blickwinkels legitimieren. Ihm geht es um das Archetypische dieser Ausnahmesituation. Macqueen bannt es als dramatisch gedehnten Moment, als eine nachvollziehbare Angst vor der offenbar schrecklichsten Katastrophe: inmitten von höchster Bildung, Kultur und Karriere Kontrolle und Würde zu verlieren.

„Supernova“ läuft ab dem 14. Oktober 2021 in den deutschen Kinos. Weitere Informationen gibt es auf der Seite des Verleihs.

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Bildquelle:

  • supernova: 2021 Weltkino

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