„Oppenheimer“ und „Barbie“: Nervtötende Diskurse

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Szene aus
Foto: Universal Pictures. All Rights Reserved.

An den Kinokassen haben „Oppenheimer“ und „Barbie“ einen Sensationsstart hingelegt. Banale Netzdiskurse werden den Filmen jedoch nicht gerecht.  

Nanu, Kino-Begeisterung liegt in der Luft! „Oppenheimer“ und „Barbie“ haben ein erwartungsgemäß starkes Startwochenende hingelegt. Viele Menschen zelebrieren wieder den Kinobesuch. Das Phänomen „Barbenheimer“ oder auch „Oppenbarbie“, also die Möglichkeit, beide Filme hintereinander zu sehen, hat jedenfalls Wirkung gezeigt. Doppelt erfreulich ist das! Nicht nur deshalb, weil der Reiz der öffentlichen Filmerfahrung wieder in die Welt getragen wird, und sei es nur singulär, sondern weil es sich um zwei sehenswerte Filme handelt, wenngleich es deutliche Abstufungen zwischen beiden gibt. Nur wäre es schön, die Auseinandersetzung mit ihnen würde sich im Netz nicht so furchtbar stumpfsinnig verhärten!

„Oppenheimer“ ist einer der besten Filme von Christopher Nolan

Christopher Nolan („Tenet“, „The Dark Knight„) erzählt in „Oppenheimer“ über drei Stunden hinweg aus dem Leben jenes Mannes, der als Vater der Atombombe in die Geschichte einging. Intensives, dichtes und herausforderndes Kino ist das! Nolan war zwar schon immer gut darin, in seinen Filmen alles haarklein zu erklären. Auch „Oppenheimer“ drückt einen mit dem Gesicht in seine apokalyptisch warnende Botschaft. Aber das ist dennoch ein Film, der sein Publikum ernst nimmt, ihm Dinge zumutet. „Oppenheimer“ zwingt einen dazu, Dialogen in Großaufnahmen über mehrere Zeitebenen hinweg zu lauschen, Spannungen zu ertragen und sich Fragen zu stellen, die sich einer einfachen Lösung entziehen.

Er verlangt höchste Aufmerksamkeit in seiner verschachtelten, sprunghaften Montage, die eines klarstellt: Mit einer simplen Chronologie lässt sich diesem Stoff voller widersprüchlicher Entscheidungen nicht gerecht werden! Christopher Nolan zeigt, dass man großes, drängendes Blockbuster-Kino mit eigener Handschrift auf die Beine stellen kann, das auch ohne überbordendes Spektakel und eindeutige Zuschreibungen auskommt, um eine klare Position zu vertreten. Kann man das von „Barbie“ auch behaupten?

Cillian Murphy in "Oppenheimer"
Foto: Universal Pictures. All Rights Reserved.

„Barbie“ erzählt von Weiblichkeit und patriarchaler Gewalt

Greta Gerwig, die Regisseurin und Ko-Autorin, wird als Ikone eines jüngeren feministischen Independent-Kinos gefeiert. Ihr „Barbie“-Film ist Farben-Spektakel, verspielte Kulissenschieberei, ein Musical mit treffenden Beobachtungen und Fragestellungen, das sich aber selbst in Ketten legen muss. Über den Alltag in der Barbiewelt erzählt die Komödie von der Zurichtung von Körper- und Rollenbildern, von Körpergedächtnis, Ritualen, Gesten. Er demonstriert das Formen von Geschlecht aus einer Sammlung alltäglicher Routinen, bis sich Störungen in diese Kreisläufe einschalten. Es geht um das Begreifen eines Subjekts, beengende Anforderungen, patriarchale und konsumistische Gewalt. Einige Entscheidungen in der Schauspielführung erzählen geschickt von Menschenpuppen und Puppenmenschen.

Aber serviert der Film nicht im späteren Verlauf ein paar Floskeln zu viel? Das ist ein überspitztes, kämpferisches und, Ja, unterhaltsames Pamphlet, eine Demonstration von Klischees und zugleich deren ironische Feier. Aus seiner Zwiespältigkeit kann er dennoch nicht entkommen. „Barbie“ ist und bleibt Produkt- und Imagefilm eines umstrittenen Riesenkonzerns. Er lässt ein paar explizit ausgesprochene selbstkritische Töne zu, um zum Schluss wieder alles einzuhegen, die eigene Marke mit etwas Sentimentalität zu festigen. Sozialkritik als Feigenblatt. Um Konfrontation oder Subversion geht es ihm nur so lange, wie es den Markenkern nicht zerstört. Independent ist daran nun wirklich nichts mehr!

Foto: 2023 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved

Filmkritik ohne Formgespür

Viel gibt es in diesem Film zu diskutieren, etwa sein fragwürdig parodistischer Umgang mit Queerness oder sein plattes Verständnis von Authentizität. So, wie es auch in „Oppenheimer“ viel zu diskutieren gibt. Etwa hinsichtlich seiner mythologisch-tragischen Selbstüberhöhung. Nur haben sich einige Netzdiskurse in den vergangen Tagen ein weiteres Mal von ihrer banalsten Seite gezeigt. Ihnen mangelt es an Offenheit und differenzierter Haltung gleichermaßen. So erschöpfte sich die Rezeption von „Oppenheimer“ wiederholt und plattformübergreifend in Vorwürfen, der Film sei unnötig kompliziert, die Musik zu laut und ähnlich Nichtssagendes mehr.

Man gleicht nur noch mit eigenen Sehkonventionen und Erwartungshaltungen ab. Als sei etwa die sprunghafte Struktur reine Willkür! Als würde es nicht genau darum gehen, eine Ästhetik für das komplizierte Spiel von Entscheidungen und Auswirkungen zu finden, die damit immer schon gleichzeitig gedacht werden müssen. Wie formverdrossen kann Filmkritik noch werden? Andere werfen ihm mangelnden Erkenntnisgewinn vor. Als käme es nicht vielmehr auf das Wie, die Formulierung an! Mit dieser Herangehensweise ließe sich sonst jeder einzelne Film zerstören.

Oppenheimer…und die Opfer?

Das öffentlich-rechtliche Funk-Format „Cinema Strikes Back“ kam derweil nach drei Stunden über die Erfindung der größten Massenvernichtungswaffe der Welt unter anderem zu dem Fazit, der Film sei eine „Liebeserklärung an die Wissenschaft“ und „ein mutiges Werk, das die Wissenschaft feiert“. So kann man es sich auch schönreden und eine tiefere Auseinandersetzung umschiffen.

Andere warfen Christopher Nolan öffentlichkeitswirksam vor, die Seite der Opfer auszusparen. Als ob diese Entscheidung nicht umso deutlicher zeigen würde, wie ungeheuerlich diese Waffe in die Welt kam, wie abstrakt ihr Einsatz für ihre Erfinder war. Als könnte man nicht ertragen, sich mit der Täterperspektive und daraus abgeleiteten Fragen zu Verantwortung und Machtmissbrauchs beschäftigen! Man diskutiert unsinnig über einen alternativen Film, der gar nicht existiert, weil sich der Vorwurf verweigerter Stimmgebung natürlich gut als schmissiger Tweet verkaufen lässt. Man will offenbar nur noch das bestätigt und gezeigt bekommen, was man ohnehin schon weiß und anderswo gesehen hat, um ja nicht die eigene Position herausfordern zu müssen.

Fragen der Gesinnung

Und bei „Barbie“? Dort sieht es wohl noch finsterer aus, schaut man sich den Austausch auf Twitter (oder nun: X) an. Dort scheint eine kritische Perspektive allein eine Frage der Gesinnung oder des Geschlechts zu sein. Wer steht auf der richtigen Seite? Negative Stimmen werden mit Vorwürfen des Sexismus abgeschmettert. Gerade Männer, die an dem Film etwas auszusetzen haben, werden verdächtigt, ihn schlichtweg nicht verstanden zu haben. Oder sich einfach ertappt und in ihrem Ego gekränkt zu fühlen!

Ryan Gosling als Ken in "Barbie"
Foto: 2022 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved

Film-Bro oder Nicht-Film-Bro, das scheint hier die Frage zu sein. Man wirft sich eigentlich nur noch gegenseitige Dummheit vor, verwechselt Kritik mit Majestätsbeleidigung. Es muss doch möglich sein, identitätspolitische Bestrebungen und fragwürdige Unternehmensstrukturen hinter „Barbie“ gemeinsam zu denken und zu kritisieren! Eine Diskussion wird allerdings mit Totschlagargumenten als öffentliches Scheitern inszeniert. Obwohl einige der Vorwürfe in Einzelfällen natürlich nicht gänzlich abwegig sein mögen.

Einige Äußerungen geben sich tatsächlich nicht einmal die Mühe, irgendetwas von Gehalt über den Film in die Welt zu setzen und sich in dessen Konstruktion hineinzuversetzen. Oder man stellt einfach seine unbegründete Verweigerungshaltung aus. So twitterte Gesundheitsminister Karl Lauterbach jüngst, den Film gar nicht erst sehen zu wollen. Manchmal reicht auch diese Verweigerung: Man muss sich nicht zwingend zu jedem Thema im Netz äußern!

Lernen, über Filme zu sprechen

Vielleicht sollte man doch nicht allein nach künstlerischen Krisen suchen. Vielleicht ist gar nicht die kreative Bequemlichkeit und Einfallslosigkeit großer Konzerne und Franchises das Hauptproblem heutiger Kinokultur, sondern zuvorderst die Rezeptionshaltung und ihre entweder verengten oder nicht vorhandenen Erwartungen an Kunst. Zweifellos werden zu beiden Filmen viele kluge, längere, kontroverse Analysen und Kritiken verfasst. Kaum eine Redaktion hat nicht zu ihnen publiziert.

Gerade Twitter beziehungsweise X mag nicht immer das Maß aller Dinge zu sein, aber die Plattform spült Tendenzen und Stimmungsbilder ans Tageslicht. Und populäre Filmplattformen wie Letterboxd sprechen eine ähnliche Sprache. Viele kursierende Stimmen zu „Oppenheimer“ und „Barbie“ zeugen jedenfalls von einem bedenklichen Unvermögen, sich überhaupt noch konstruktiv über Kunst und ihre Form austauschen zu können. Vor allem: mit der konfrontativen Kraft eines Films umgehen, Ambivalenzen ertragen, das Andere zulassen zu können. Es geht allein um Distinktion, Diffamierung, eine Festigung der eigenen Feindbilder, hier wie dort.

„Oppenheimer“ und „Barbie“ laufen seit dem 20. Juli 2023 in den deutschen Kinos.

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