„Jungle Cruise“ bei Disney+ und im Kino: Das Gespenst Kolonialismus

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Jungle Cruise Disney+ Film
Dwayne "The Rock" Johnson und Emily Blunt in "Jungle Cruise"

In dem Abenteuerfilm „Jungle Cruise“, der jetzt zeitgleich im Kino und bei Disney+ zu sehen ist, beschwört Disney die Spuren des Kolonialismus und verwandelt das Medium in einen Freizeitpark.

Spätestens mit Klaus Kinski und Werner Herzog war die Amazonasfahrt und Eroberung des Dschungels bereits als Hirngespinst enttarnt worden, das nur noch um das Eigene und dessen zerstörerische Ansprüche kreist, bis jegliche Reflexion und Rationalität verschwunden sind. Bei Disney erhält der Urwald nun seinen Schatz zurück. In „Jungle Cruise“ gibt es da plötzlich wieder etwas zu bergen. Etwas Sehnsuchtsvolles, ein Glücksversprechen, um dessen Erfüllung man kämpft.

Nach den „Fluch der Karibik“-Filmen hat der Konzern damit ein weiteres Fahrgeschäft als Spielfilm adaptiert. Ein wackliger Kahn, der durch seichtes Gewässer an Animatronics vorbeischippert, das ist der Stoff, aus dem „Jungle Cruise“ nun gestrickt wurde. Der Spanier Jaume Collet-Serra, ein sehr fähiger Genrefilmer („Orphan – Das Waisenkind“ und „The Shallows“), hat die Regiearbeit übernommen. 

Jagd nach dem Baum des Lebens

Die Reise beginnt im miefigen Forscherkongress in London, von dem aus man nach Brasilien aufbricht. Es ist das Jahr 1916, mitten im Ersten Weltkrieg. Emily Blunt spielt Liliy Houghton, die gemeinsam mit ihrem tapsigen Bruder McGregor (Jack Whitehall) zum Amazonas reist. Dort gerät sie an den Skipper Frank (Dwayne Johnson) der sie auf seinem Boot zum ominösen Baum des Lebens bringen soll, welcher ein wundersames Heilmittel verspricht. Auf den Fersen sind ihnen deutsche Imperialisten und ein uralter Fluch, der die Konquistadoren des 16. Jahrhunderts durchs Gestrüpp spuken lässt. Und so ist es im Kern die Begegnung mit dem Gespenst des kolonialen Erbes, die sich in „Jungle Cruise“ anbahnt.  

Es dauert eine ganze Weile, bis sich dieses Thema vollends aus dem Effektüberschuss herausschält. „Jungle Cruise“ stülpt sich damit eine brisante und gegenwärtige Aufarbeitungsdebatte über, deren schmückendes Kleid jedoch bald deutlich in Fetzen hängt. Das ist eigentlich eine spannende Idee, diesen Amazonas-Trip zu nutzen, um nach den Spuren von Eroberung, von Gier, Ausbeutung und dominanzkulturellen Unterwerfungen zu forschen, die sich auch Jahrhunderte später und selbst nach der Unabhängigkeit noch immer in Gesellschaft und Landschaft eingeschrieben haben. Aus ihr brechen die Konquistadoren als hybride Naturmonstren hervor.

Was „Jungle Cruise“ damit anzufangen weiß, ist in erster Linie ein Herbeiträumen von alternativer Historie, einer Läuterung, aber auch einer naiven Ignoranz. Emporgehoben werden allerhand identitätspolitische Zugeständnisse im kleineren Kreis. Man feiert sich für das kurzzeitige, vage ausgesprochene Coming Out einer der Hauptfiguren. Für Emily Blunt, die als toughe Actionheldin gegen Geschlechterklischees rebelliert. Und man kokettiert mit dem Abrechnen mit rassistischen Bildern der vermeintlich kannibalistischen Wilden – ein Nicken an das Disneyland-Fahrgeschäft, das man von ebendiesen jüngst in den Parks befreien wollte. Dringliche Problemstellen, aber all das erscheint eher als zusammengeflickte Zierde denn als Substanz.

Die Welt als Attraktion

Die Weltsicht, die diese Dschungel-Expedition eröffnet, unterscheidet sich in ihrer grundlegenden Konzeption nur mäßig von den bösen Geistern, die hier gebannt (oder genauer gesagt: erlöst) werden wollen. Sie ist eine rein touristische und letztlich nicht weniger unterwerfende, die die komplexen Dimensionen ihrer Fremdheitsbegegnung immer wieder verengt. Eine, die vor Exotismus, Naturkitsch und -mystik nur so strotzt.

Die bloße Verzauberung und Überwältigung ob der fabulösen Flora und Fauna, die etwa Christoph Columbus schon bei seiner Landung in Amerika beschrieb, wiederholt sich hier als Familienkino, das in erster Linie nach Attraktion giert und ihr entdecktes Territorium nebst Lebewesen weniger untersucht als vielmehr nach dessen Nutzen für sich selbst sucht. Es wird letztendlich in einen reinen Abenteuerspielplatz für den eigenen Wettstreit verwandelt. Alles, was man hier vorfindet, existiert, um Requisit in einer zweistündigen Unterhaltungsshow zu werden.

Kino als Erlebnisurlaub

Zugleich versteht man diesen Spielplatz als verfluchtes Gefängnis, aus dem man irgendwann doch wieder flink in den eigenen Dunstkreis zurückkehren sollte, um Wundersames zu berichten, und dennoch meint, die große Utopie für sich selbst entdeckt zu haben. Die Anderen sind in der Erzählung jedoch vor allem nützliche Partner oder Projektionen. Man erkennt sie an, lässt sie aber letztendlich hinter sich oder hat sie längst in die eigene Show integriert.

Wichtiger erscheint da, wer die vertretbarsten Ansprüche auf den Schatz erhebt. Wer als nobelster Sieger das Abenteuer und dessen Disziplinen Menschlichkeit, Familie und körperliche Ertüchtigung besteht. Die knallbunten, vor Effekten strotzenden Bilder reproduzieren mit ihrem Achterbahngefühl diese Doppelmoral. Irgendwann erklärt Emily Blunt das noch junge Medium Film, das einen an fremde Orte reisen lassen könne. Sonderlich größer ist der Kinobegriff von „Jungle Cruise“ tatsächlich nicht.

Medusas Antlitz

Der Konquistador Aguirre, gespielt von Edgar Ramirez, erscheint als von Schlangen durchzogenes Ungetüm, als Medusa. Wenn der Film das rettende Schild ist, mit dem man ihr schreckliches Antlitz überwinden kann, wie Siegfried Kracauer es umschrieben hat, dann ist dieses Schild hier ein verschmiertes, überwuchertes. Ganze Eroberungszüge werden zwar verurteilt, aber zugleich auf allzu dümmliche Weise mit persönlichem Familienleid psychologisiert und damit verharmlost.

Die europäischen Eroberer trennt in diesem Umgang nicht mehr viel von einer Filmfigur wie Cruella de Vil. Man sucht da nach Charakteren im Systemischen, die man abstrafen oder vielleicht sogar wieder als Bekehrte in die Gesellschaft integrieren könnte. „Jungle Cruise“ verwandelt dabei nicht umsonst in einem konsequenten Schlussbild das verzweigte Flussnetzwerk in den Straßendschungel Londons.

Sympathische Reiseführer

Immerhin: Wenn das Kino mit „Jungle Cruise“ schon zum Freizeitpark mutiert, erscheint Disney als routinierter Handwerker und Strippenzieher. Mit dem charismatischen Duo Dwayne Johnson und Emily Blunt inszeniert man zwei verführerisch sympathische Reiseführer. Sie halten den Flickenteppich zusammen. Der Rest sind gekonnt platzierte Reize, mit denen man das unentwegte Spektakel und Amüsement beschwört und dem ikonischen Abenteuerkino vergangener Tage Tribut zollt.

Na klar, langweilig wird „Jungle Cruise“ nicht, wenn das allein der Anspruch sein sollte. Hinter der nächsten Ecke lauert immer bereits das nächste aufregende Tier, eine raue Naturgewalt oder eine weitere Gruselgestalt. In etwa so, wie bei der Flussfahrt, die „The Rock“ im Film anbietet, um naiven Touristen das Geld aus der Tasche zu ziehen.

„Jungle Cruise“ läuft seit dem 29. Juli in den deutschen Kinos. Ab dem 30. Juli ist der Film bereits bei Disney+ über einen kostenpflichtigen VIP-Zugang als Stream verfügbar.

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Bildquelle:

  • junglecruise: The Walt Disney Company Germany
  • junglecruise: © Disney+

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