„Die einfachen Dinge“: Wie albern kann Kapitalismuskritik sein?

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Vincent und Pierre sitzen am Tisch
Foto: Neue Visionen Filmverleih

Éric Besnard will in „Die einfachen Dinge“ das getriebene Wirtschaften der Gegenwart kritisieren. Für mehr als betuliches Seelenbaumel-Kino reicht das nicht.

Der Crash ist sicher ein geeignetes Mittel, um etwas über unsere Gegenwart zu erzählen. Besonders eindrucksvoll in Michael Manns neuem Film „Ferrari“ zu erleben, der jüngst in Venedig das Licht der Welt erblickte und zum Dialog mit dem wirtschaftlichen Wettrüsten der Nachkriegszeit einlädt. Der Crash taugt zur Zäsur, zum Kollaps der sogenannten Ordnung, die in ihren Trümmerteilen plötzlich lesbar, reflektierbar wird. Der französische Filmemacher Eric Besnard nutzt ihn jedenfalls, um die Karriere seines Protagonisten Vincent (Lambert Wilson) auf den Prüfstand zu stellen.

Vincent ist ein erfolgreicher Unternehmer, der „Inbegriff für Modernität und Frankreichs Innovation“. Während sein Vater einst ein sesshafter Handwerker war, ist Vincent ein Globetrotter, immer unterwegs, ein Termin nach dem anderen. Eine populäre Datingplattform hat der „sexiest businessman“ an den Start gebracht, doch glücklicher macht ihn das kaum. Zu Beginn von „Die einfachen Dinge“ ist schon zu sehen, wie Vincent mit Panikattacken zu kämpfen hat. Eine Unzufriedenheit hat in seinem hektischen Alltag Einzug gehalten.

Vincent und Pierre in "Die einfachen Dinge"
Vincent und Pierre nähern sich in freier Wildbahn an. Foto: Neue Visionen Filmverleih

„Die einfachen Dinge“ zieht sich in die Natur zurück

Eric Besnard eröffnet seinen Film dabei mit austauschbarem Stock Footage: Großstadtleben, Handelsketten, Tiere, Fahrzeuge – die Geschwindigkeit der Welt, die mit dem erwähnten Crash, einem Unfall in der Natur, zum Erliegen kommt. Vincent strandet in den Bergen und kommt schließlich in der Almhütte des Eremiten Pierre (Grégory Gadebois) unter. Fernab der Zivilisation beginnt Vincent, über sein Leben nachzudenken. Urlaubskino ist das, eine Auszeit vom Alltag. „Die einfachen Dinge“ ist ein typisches Beispiel zeitgenössischer Wohlfühlfilme, die sich kritische Töne maskenhaft überstülpen, aber in Wirklichkeit keinerlei kluge Analysen, keinerlei anregende Gedanken in die Welt zu tragen vermögen. Man kann sie allein dahingehend lesen, wie zynisch und unbeholfen Teile des Kulturmarktes auf den Status quo blicken, wenn sie nur noch versuchen, sich ihrem Publikum anzubiedern.

Die Skizze einer widerständigen Figur ist zumindest vorhanden: Der Eigenbrötler Pierre, eigentlich ein ambitionierter Naturforscher, hat sich aus der Welt zurückgezogen, weil er nicht mehr Teil von ihr sein will. Er will mit seiner Arbeit nicht in irgendwelchen reißerischen Schlagzeilen, irgendwelchen Wettkämpfen und Ausbeutungsverhältnissen stattfinden. Das permanente, selbstzweckhafte Wachstumsstreben scheint ihm zuwider zu sein. Er will nicht, dass seine Forschungsergebnisse womöglich von einem System missbraucht werden, das sie eigentlich für das Gute einsetzen könnte, aber am Ende wieder nur versucht, daraus Kapital zu schlagen, um sich Monopolstellungen zu sichern. Plankton spielt da irgendwann eine Rolle, das einerseits Nährstoffe liefern könnte, um den Welthunger zu besiegen, aber zugleich droht, lediglich für Fastfood-Ketten genutzt zu werden.

Ein Liebesdreieck bahnt sich an. Foto: Neue Visionen Filmverleih

Frischer Kräutertee und andere Leckereien

Man könnte kritisch an solche Ansätze anknüpfen, zumal die Konfrontation mit der Wildnis alle Zutaten liefert, um Sehgewohnheiten gehörig umzukrempeln. Doch Eric Besnard strickt daraus einen Film, der genauso gut im Ruhebereich des örtlichen Wellness-Tempels laufen könnte. Hier geht es mitnichten um irgendeine Konfrontation, irgendeine anregende Auseinandersetzung. Stattdessen fährt der Regisseur von Filmen wie „À la Carte! – Freiheit geht durch den Magen“ und „Birnenkuchen mit Lavendel“ ein Erholungsprogramm für gestresste Privilegierte ab, das sich irgendwo in belanglosen Bildern von Kräutersammlungen, Waldgängen, Teezubereitung und anderen Küchenszenarien genügt.

Auch damit ließe sich – theoretisch – etwas anstellen. Außerdem muss Kino weder Unterricht noch Debatte sein. Mag es Erholung bieten, kein Problem! Problematisch ist jedoch, wie das Narrativ von „Die einfachen Dinge“ allein dominierenden Machtverhältnissen und Denkmustern in die Hände spielt. Es ist mitnichten so harmlos, wie diese Natur- und Urlaubsschilderungen klingen mögen. Denn dies ist kein Film über den Außenseiter und Rebellen Pierre, sondern es bleibt einer über den überarbeiteten reichen Unternehmer, der neben der Verwaltung seines Wohlstands so viel Frust zu bewältigen hat, dass der Blick in die unberührte Natur einem plötzlichen Erweckungserlebnis gleichkommt.

Szene aus "Die einfachen Dinge"
Grübeln in der Abgeschiedenheit. Foto: Neue Visionen Filmverleih

Unsere neue Bescheidenheit

Man übt sich ein bisschen in vorübergehender Verlangsamung und Bescheidenheit, geht einmal kurz in sich, dann löst man ein paar amouröse Probleme – etwas für das Herz will der Film schließlich auch bieten – und dann kann alles wieder seinen gewohnten Gang gehen, als müsste sich fundamental wenig ändern. In der Erzählung dieses Films ist es am Ende ausgerechnet Pierre, der sich diesem Gang fügen muss, der zu ihm regelrecht erzogen wird. Seine Systemkritik verwandelt sich in den reinsten Trugschluss. Einerseits will Eric Besnard mit fadenscheinigem Zurück-zur-Natur-Zauber verführen, zugleich gerät sein Plan für das Leben danach umso perfider. Ist Vincent erst einmal mit sich im Reinen, neue Karrierepläne inklusive, er besitzt schließlich die nötigen Rücklagen, dann soll sein Gegenüber einen zärtlichen Arschtritt erhalten.

Er soll wieder etwas aus sich machen, am Leben teilnehmen, seine privaten Befindlichkeiten auf die Reihe bekommen. Irgendwelche Privilegien und Ungleichheiten werden hier ohnehin nicht reflektiert. Plötzlich soll die böse Welt da draußen doch gar nicht mehr so böse sein, wenn man ihr mit einem positiveren Selbstverständnis und ein paar Ansagen gegenüber den eigenen Kollegen und Angestellten gegenübertritt. Es fehlt eigentlich nur noch, dass der Begriff „Mindset“ fällt! Die Startup-Mentalität blubbert und brodelt in den letzten Minuten von „Die einfachen Dinge“. Die Grenze zum versteckten Business-Coaching erscheint äußerst durchlässig. Besnards inszenierte Bromance ist längst von Anklängen neuer Abhängigkeitsverhältnisse und Machtgefälle durchzogen. Das neue sinnbildliche Heim, das die beiden Protagonisten zum Schluss errichten, ist nur eine Kopie des alten unter leicht veränderten Vorzeichen.

„Die einfachen Dinge“ läuft seit dem 21. September 2023 im Verleih von Neue Visionen in den deutschen Kinos.

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